Die Reise Nach Petuschki
an mir haben? Ich bin Waise.‹ ›Aus Sibirien?‹ fragen sie mich. ›Ja!‹ antworte ich. ›Nun, wenn du aus Sibirien kommst, dann muß wenigstens deine Psyche irgendwas an sich haben. Was hat denn deine Psyche an sich?‹ Ich dachte nach. Das hier war immerhin nicht Chrapunowo, sondern die Sorbonne, ich mußte irgendwas Gescheites von mir geben. Ich dachte nach und sagte: ›Das, was ich von einem Phänomen an mir habe, ist mein sich frei entwickelnder Logos.‹ Während ich nachgedacht hatte, was ich Gescheites sagen könnte, hatte sich der Rektor der Sorbonne von hinten an mich herangeschlichen und zog mir mit aller Kraft eins übers Genick: ›Ein Idiot bist du‹, sagt er, ›und kein Logos! Raus‹, brüllt er, ›raus, Jerofejew, aus unserer Sorbonne!‹ Da tat es mir zum erstenmal leid, daß ich nicht im Haus des Genossen Luigi Longo wohnen geblieben bin ...
Nun, was sollte ich jetzt tun? Schließlich mußte ich mir Paris auf jeden Fall noch ansehen. Ich komme hin, gehe Richtung Notre-Dame und wundere mich: ringsum nichts als Puffs. Aufrecht steht nur der Eiffelturm, und oben sitzt General de Gaulle, kaut Kastanien und schaut durch sein Fernglas in alle vier Himmelsrichtungen. Wozu tut er das, wo doch in allen vier Richtungen nur Puffs zu sehen sind?!
Und die Boulevards! Wozu? Zum Bummeln hat sowieso niemand Zeit. Die Leute pendeln alle nur zwischen Puff und Klinik, zwischen Klinik und Puff. Und ringsum so viel Tripper, daß einem das Atmen schwerfällt. Einmal habe ich ein paar Gläser getrunken und bin zu den Champs-Elysees gegangen. Da watet man regelrecht im Tripper, man kann kaum ein Bein vor das andere setzen. Plötzlich sehe ich zwei Bekannte. Ein Mann und eine Frau. Beide kauen Kastanien, und beide nicht mehr die Jüngsten. Wo hatte ich sie schon gesehen? In den Zeitungen? Es fiel mir nicht mehr ein, jedenfalls hatte ich sie erkannt. Es waren Louis Aragon und Elsa Triolet. Wo die wohl hingehen, überlegte ich, aus der Klinik in den Puff oder aus dem Puff in die Klinik? Schäm dich, wies ich mich selbst zurecht, du bist schließlich in Paris und nicht in Chrapunowo. Stelle ihnen lieber ein paar sozialkritische Fragen, ein paar von den qualvollsten sozialkritischen Fragen.
Ich holte Louis Aragon ein und sagte ihm alles. Ich öffnete ihm mein Herz, sagte ihm, daß ich an der Welt verzweifelt bin, daß ich keine Zweifel mehr hegen kann, daß ich sterbe vor inneren Widersprüchen und vieles andere. Aber er sah mich nur an, salutierte wie ein alter Veteran, nahm seine Elsa unter den Arm und ging weiter. Ich holte die beiden wieder ein und wandte mich nun nicht mehr an Louis, sondern an die Triolet. Ich sagte ihr, daß ich sterbe vor Eintönigkeit und Erlebnisarmut, daß ich immer dann von Zweifeln geplagt werde, wenn die Verzweiflung aufhört, während ich in Augenblicken der Verzweiflung keine Zweifel kenne. Aber sie tätschelte mir nur die Wange, wie eine alte Nutte, nahm ihren Aragon unter den Arm und ging weiter ...
Später erfuhr ich aus der Presse, daß die beiden gar nicht die waren, für die ich sie gehalten hatte. In Wirklichkeit waren es Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, aber das konnte mir jetzt schließlich egal sein. Ich ging weiter in die Gegend von Notre-Dame und mietete mir eine Mansarde. Ob Mansarde, Mezzanin, Flügel, Beletage oder Speicher — das bringe ich immer durcheinander und erkenne keinerlei Unterschied. Kurz, ich mietete mir etwas, worauf man liegen, schreiben und Pfeife rauchen kann. Ich rauchte zwölf Pfeifen und schickte an die ›Revue de Paris‹ ein Essay mit dem französischen Titel ›Schick und Charme, always smart‹. Ein Essay über Fragen der Liebe. Aber Sie wissen ja selbst, wie schwer es in Frankreich ist, etwas über die Liebe zu schreiben. Aus irgendeinem Grund ist in Frankreich alles, was mit der Liebe zu tun hat, längst geschrieben. Dort weiß man alles über die Liebe, und bei uns weiß man nichts darüber. Zeig mal bei uns einem Menschen mit höherer Bildung einen harten Schanker und frage ihn: ›Was ist das für ein Schanker, ein harter oder ein weicher?‹ Er wird auf jeden Fall antworten: ›Ein weicher natürliche Und zeig ihm erst mal wirklich einen weichen, das wird ihn vollends verwirren. Nicht so in Frankreich. Da wissen die Leute vielleicht nicht, was der Kräuterschnaps kostet, aber wenn ein Schanker weich ist, dann ist er für jeden weich, und niemand wird ihn als hart bezeichnen.
Kurz, die ›Revue de Paris‹ schickte mir mein
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