Die Reise nach Trulala
auf dem Berg hockte. Er besaß einen Mercedes und eine französische Geliebte, die ihm in der Arbeitspause Stullen schmierte. Der Pole war mit seinem Leben sehr zufrieden und wollte mit niemandem tauschen.
Ab und zu kletterten auch die anderen Künstler auf den Berg. Sie durften dort aber nicht ihre Utensilien auspacken, sondern trieben sich mit kleinen Malblöcken in der Hand an den Bushaltestellen und Kneipen herum. Dort sprachen sie die Touristen an. Die Bergmafia nannte die Neuankömmlinge »Krokodile« und bekämpfte sie mit allen Mitteln, weil sie ihnen die Preise versauten. Auch die Polizei jagte die Krokodile immer wieder vom Berg herunter. Alex wollte nicht als Krokodil auf dem Berg erscheinen. Er versuchte, mit der Bergmafia Freundschaft zu schließen. Immer wieder lud er den Polen, den Jugoslawen und den Taiwanesen zum Essen ein. Die Männer klopften Alex auf die Schulter, und der Pole meinte: »Warte ein paar Jahre, bis ich den Pinsel nicht mehr halten kann. Dann gehe ich in Rente, und du kannst meinen Platz übernehmen.« Er sah jedoch sehr robust aus und hielt seinen Pinsel mit zwei Händen fest.
Die Situation schien hoffnungslos. Aber plötzlich veränderte ein Zufall Alex' Leben: Die Kollegen vom Berg besuchten ihn und erzählten, der serbische Michelangelo habe sich bei der Arbeit die Hand gebrochen. Zu viel Selbstdarstellung sei gefährlich, das habe man ihm schon immer gesagt. Der arme Maler hatte zwei Italienerinnen überzeugt, bei ihm ein Porträt zu bestellen. In seiner Angst, als falscher Italiener entlarvt zu werden, war er zu toll um die Damen herumgesprungen, dabei ausgerutscht und hatte sich die linke Hand gebrochen. Nun war er für mindestens zwei Monate arbeitsunfähig und bereit, seinen Arbeitsplatz währenddessen an Alex unterzuvermieten.
Blitzschnell etablierte sich Alex auf dem Berg. Bald hatte er viele Stammkunden, die ihm Fotos von Verwandten brachten, und wegen seines exotischen Aussehens kam er auch bei den Touristen gut an. Sogar als der Jugoslawe wieder malen konnte, versuchte niemand, Alex wieder nach unten zu verbannen. Er gehörte bereits zum festen Stamm der Berglandschaft. Und dann bekam er auch seine Aufenthaltserlaubnis. Das Geld, um seine Familie nach Paris zu holen, hatte er ebenfalls bald zusammen.
Alex fuhr nach Moskau zurück. Anderthalb Jahre waren inzwischen vergangen. Seine Tochter wurde schon vier und ging in den Kindergarten, sein Sohn lernte gerade sprechen. Alex war sehr aufgeregt, als er die Wohnungstür öffnete. Anna saß in der Küche und hörte Aquarium. Sie küsste ihn und freute sich sehr.
Nichts hatte sich verändert.
»Wir ziehen nach Paris um, ich habe schon alles vorbereitet«, kündigte Alex an. »Du, Anna, wirst ab jetzt Annette heißen, Sascha nennen wir Sascha, und Marja wird Marie, so sagen es die Franzosen.« Die Familie reagierte mit lautem »Hurra«. Alex telefonierte mit alten Freunden und ehemaligen Kollegen, er hatte einiges zu verschenken, denn eine Rückkehr der Familie nach Moskau war nicht geplant. Die ganzen armen Künstler räumten seine Wohnung noch am gleichen Abend leer. Alex hatte die vier Fahrkarten nach Paris bereits in der Tasche, außerdem nahmen sie noch einen Koffer mit Kleidern und zwei Kartons mit Musikkassetten und CDs mit.
Drei Tage später saß Anna bereits in der neuen Pariser Wohnung in der Küche, kochte und hörte dabei weiter ihre Lieblingsmusik. Sie bekam nicht viel von Paris mit. Auf dem Rückweg von der Ausländerbehörde zeigte Alex seiner Frau die Sehenswürdigkeiten der Stadt, dazu fuhren sie ein wenig mit der Metro hin und her. Anfangs wollte Anna in eine Sprachschule gehen, um ein bisschen Französisch zu lernen, doch Alex hielt das für keine gute Idee. »Ich kann dir alles Französisch beibringen, das du brauchst«, meinte er.
Der Alltag in Paris brachte kaum Veränderungen in Annas Leben. Alex stand jeden Tag früh auf und kletterte auf den Berg. Dort malte er Porträts und verdiente damit sein Geld. Sie saß zu Hause mit den Kindern, kochte und hörte Musik. Die neue Pariser Wohnung war sogar ganz ähnlich geschnitten wie ihre alte in Moskau, auch die Küche war gleich groß. Manchmal ging die Familie zusammen einkaufen, oder sie machten einen Spaziergang mit den Kindern im nahe gelegenen Park. Einmal gingen sie ins Kino. Alex übersetzte seiner Frau den Film, so gut er konnte. Die Zuschauer neben ihnen regten sich darüber ziemlich auf. Sie wollten den Film nicht noch einmal auf Russisch
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