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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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nacherzählt bekommen und klopften Alex immer wieder auf die Schulter.
    1993 fuhren sie in Familienurlaub nach Berlin. Ich hatte damals noch genug Platz für alle in meiner Wohnung und besaß sechs Matratzen aus dem Stasiknast in Hohenschönhausen. Diese Matratzen waren ein Schatz, sie leisteten mir lange Zeit gute Dienste. Ich arbeitete damals ehrenamtlich als Tontechniker in einem der unzähligen Off-Theater Berlins. Alle Theatergruppen suchten wie besessen nach neuen unkonventionellen Ausdrucksmöglichkeiten und neuen ungewöhnlichen Spielorten. Viele heruntergekommene Industrieobjekte der ehemaligen DDR wurden in dieser Zeit als Spielstätten für Theaterproduktionen benutzt. Unsere Gruppe spielte zum Beispiel Brecht in einer verlassenen Möbelfabrik und Edgar Allen Poe in einem Wehrmachtsbunker. Eine andere mit uns befreundete Theatergruppe arbeitete an einem ambitionierten Stück von Jean Paul Sartre. Dieses sollte in einem Knast gespielt werden.
    Der große Stasiknast für politische Gefangene in Hohenschönhausen stand seit der Wende leer. Das Innenministerium überlegte noch, was mit dem Gebäude passieren sollte. Für einen richtigen Knast war es zu unsicher, für ein Museum zu banal. »Vielleicht kann man dort Kunst machen?«, schlugen meine Theaterfreunde vor und bekamen tatsächlich die Schlüssel. Ein Monat lang durften sie dort die Herren sein. Sie spielten in den Zellen und auf dem Hof das Sartre-Stück. Die Vorstellungen liefen aber nicht besonders.
    Meine Freunde und ich schauten dort immer wieder vorbei und wanderten durch die Räume auf der Suche nach Nützlichem. Einmal entdeckten wir dort im Keller eine Folterkammer. Überall standen Tische und Bänke aus Metall. Die Schränke waren mit verschiedenen Folterinstrumenten voll, die Wände und Böden rochen nach altem Blut. Aufgeregt erzählten wir unseren Kollegen von dem Fund. Sie lachten uns aus: »Das war die Knastkantine, hier wurde nicht gefoltert, das war sogar der erste humane Strafvollzug der DDR.« Nach Absprache mit dem Verwalter durften wir und die Theaterleute eine Kleinigkeit als Souvenir mitnehmen, zum Andenken an diese Spielstätte. Meine Kollegen entschieden sich für Foltergeschirr aus der Kantine, ich trug dagegen aus verschiedenen Zellen sechs Matratzen zusammen, die von den politischen Gefangenen am wenigsten verpisst worden waren. Mithilfe dieser Matratzen konnte ich später ohne Anstrengung eine vierköpfige Familie aus Paris bei mir in der Lychener Straße auf dem Boden logieren lassen.
    Auch in Berlin änderte sich ihr Lebensrhythmus nicht: Anna ging jeden Tag mit den Kindern zum Kollwitzplatz, Alex studierte die Arbeitsweise der Berliner Straßenmaler und tauschte mit den russischen Porträtisten am Alexanderplatz Erfahrungen aus. Nach einer Woche fuhren sie wieder zurück nach Paris. Danach hörte ich eine Weile nichts mehr von den beiden. Bis ich eines Tages einen Benachrichtigungsschein in meinem Briefkasten fand: Ich sollte , ein Päckchen aus Paris abholen, wahrscheinlich ein ziemlich großes - es wurde als »Ungewöhnliche Einsendung« vermerkt. Neugierig wollte ich sofort zur Post. »Morgen ab sechzehn Uhr, heute jedoch nicht« stand aber unten auf dem Schein. Verdammte Post! Ich konnte die ganze Nacht vor Neugier kaum schlafen. Am nächsten Tag, gleich um sechzehn Uhr, holte ich das Paket ab. Es war eine Kiste, groß und schwer, und der Absender war Alex.
    Zu Hause packte ich sie aus und traute meinen Augen nicht: Sie war voll mit Aquarium-Kassetten und -CDs. Beinahe das gesamte schöpferische Oeuvre der Gruppe war hier versammelt. »Für diese Musik gibt es keinen Platz mehr in unserem Haus«, schrieb mir Alex in einem beigelegten Brief. »Ich weiß, dass du russische Rockmusik sammelst. Vielleicht findest du in deiner Sammlung dafür noch eine Verwendung. Uns geht es nicht gut, Anna befindet sich zurzeit in der Psychiatrie.« Viel mehr stand in dem Brief nicht drin. Ich versuchte mir vorzustellen, was in Paris passiert war. Immer wieder guckte ich mir den Musikstapel auf meinem Tisch an. Viele CDs waren vom Aquarium-Sänger Boris signiert, einige sahen angeschlagen aus. Zuerst wollte ich Alex sofort anrufen, doch dann überlegte ich und ließ es erst einmal sein. Auch mein Freund Andrej meinte, er würde uns schon alles selbst erzählen, wir müssten nur etwas abwarten. Wir hörten uns stattdessen einen Mitschnitt von einem Aquarium-Konzert in Paris an. Die Platte war ganz neu und in Frankreich gepresst:

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