Die Reise nach Trulala
fand Limettow keinen Verleger, also fuhr er nach Paris. Dort gelang es ihm, das Manuskript zu veröffentlichen. Wenig später erschien sein Roman auch noch in anderen Ländern. Und überall bekam das Buch einen neuen volkseigenen Titel. In Frankreich hieß es umständlich »Der kleine Russe steht auf große Schwarze«, in Deutschland sowie in England nannte man es kritisch »Fuck off, America« und in Russland ein wenig pathetisch »Ich bin's, Limettow«. Es wurde ein großer Erfolg. Besonders bei den russischen Jugendlichen kam Limettow gut an; obwohl sie nie in Amerika gewesen waren, konnten sie sich mit dem Helden identifizieren. Der Russe in New York stand allein gegen die Welt und die ganze Welt gegen ihn. Er wollte kein Mäuseleben führen und sehnte sich nach Liebe, Sex und allgemein nach Zuwendung. Solche Sehnsüchte hatten die Jugendlichen in Russland auch.
In kürzester Zeit wurde Limettow berühmt, sein Buch war ein Bestseller. Dann kehrte er nach Russland zurück. Auf einmal hatte er alles, was sein Held Eduard sich wünschte: Viele neue einflussreiche Freunde, Ruhm und Geld. Frauen jedes Alters waren von den exzessiven Sexszenen seines Romans beeindruckt, sie fühlten sich zu dem Autor hingezogen. Als neues Entfant terrible der russischen Literatur erntete er allgemeinen Respekt - und wusste nichts damit anzufangen. Am besten gefiel Limettow die Rolle des einsamen Helden, des um Anerkennung kämpfenden, ausgestoßenen Engels mit dämonischem Blick. Es gelang ihm aber immer weniger, dieser Rolle treu zu bleiben. Die Zeiten der Kohlsuppe auf dem Balkon waren vorbei. Limettow wurde immer dicker.
Frustriert ging er wieder auf Reisen und besuchte unter anderem seinen ehemaligen Unterschlupf in New York. Von dort war er früher fast jede Nacht durch die gefährlichsten Abschnitte des Central Parks gelaufen und hatte vor nichts Angst gehabt, weil er nichts zu verlieren hatte. In seiner Hosentasche steckte ein scharfes Messer, sein Herz war voller Zorn. Damals hielt er sich selbst für den gefährlichsten Menschen im nächtlichen Central Park, wenn nicht in ganz New York. Sollten die nur kommen, er würde ihnen zeigen, wie Russen kämpfen können! Er wurde jedoch niemals angegriffen. Nun, zwanzig Jahre später, unternahm er noch einmal einen Nachtspaziergang durch den Central Park. Er wollte es sich beweisen. An der Stelle des Messers befand sich nun allerdings eine ziemlich dicke Geldbörse. In Sekundenschnelle wurde der Schriftsteller Limettow von irgendwelchen dunklen Nachtgestalten zusammengeschlagen und ausgeraubt.
Er kehrte daraufhin wieder nach Russland zurück und suchte sich dort neue Aufgaben. Der Schriftsteller Limettow konnte nicht einfach so vor sich hin leben, Kaffee trinken, Zigaretten rauchen und Bücher signieren. Er ging in die Politik, gründete die National-Bolschewistische Partei und heiratete mehrmals. Mit seinen Anhängern, romantisch eingestellten jungen Männern, reiste er überall hin, wo es Krieg gab nach Serbien, Mittelasien und in den Kaukasus. Gleichzeitig schrieb er weiter Texte und sogar Gedichte, obwohl er seinen Anhängern immer wieder zu verstehen gab, die Literatur interessiere ihn nur noch als Möglichkeit, um seine Partei zu finanzieren. Als Politiker zeigte sich der Schriftsteller Limettow ultraradikal. »Die Jungen und Rücksichtslosen erobern die Welt, unser Hass ist unsere beste Waffe im Kampf gegen die verlogene kapitalistische Gesellschaft!«, skandierte er auf Kundgebungen und Parteiversammlungen, die allerdings schlecht besucht waren. Die Erniedrigten und Beleidigten Russlands, die Bauern, Rentner und Bergarbeiter, trauten Limettow nicht. Bei den letzten Regionalwahlen bekam er 0,0015 Prozent der Stimmen.
Er heiratete zum fünften Mal. Seine neue Frau war dreißig Jahre jünger als er, der mittlerweile auf die sechzig zuging. Er wollte für immer der junge Eduard aus dem Buch »Fuck off, America« bleiben und ein heldenhaftes Leben führen, konnte aber seinem eigenen Ideal immer weniger gerecht werden. Seine Odyssee endete dann aber erst einmal ziemlich dramatisch - im Knast. Schuld daran war sein neues, sein siebenundzwanzigstes Buch, das er über den Geschäftsmann Bikov schreiben wollte, den ehemaligen Generaldirektor des größten Aluminiumkombinats von Sibirien. In ihm sah Limettow die Zukunft Russlands. Der Schriftsteller fuhr nach Krasnojarsk, um über seinen Helden zu recherchieren.
In dem wildkapitalistischen Giftnebel des russischen Geschäftslebens
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