Die Reise nach Trulala
der Glückliche durfte mit dem Zeigefinger an ihren Brustwarzen knipsen. Immer wieder versuchten besonders schlaue Kunden, auch andere Körperteile in das Loch reinzukriegen. Für solche Fälle stand in dem Container eine Axt in der Ecke, mit der die Frauen virtuos umgehen konnten.
Wenig später eröffneten dutzende von Stripteasebars und - Restaurants in der russischen Hauptstadt: Frauen in Unterwäsche und Männer in Badehosen, die alle wie Tarzan und Jane aussahen, drehten sich um Eisenstangen herum und verlangtendafür vom Publikum, dass es ihnen Dollarscheine in die Höschen stopfte. Die Russen taten, was von ihnen verlangt wurde, waren aber im Großen und Ganzen von der westlichen Zivilisation enttäuscht. Sie hatten sich die süßen Wonnen des entwickelten Kapitalismus irgendwie anders vorgestellt.»Was soll dieser Scheiß?«, fragten sie ihre Unterhaltungsexperten. Letztere wollten jedoch keine Verantwortung übernehmen.
»Wir haben es genau wie im Westen gemacht«, argumentierten sie.
»Es sieht aber irgendwie pissig aus«, meckerten die Russen.
Die Experten wurden entlassen, und das Volk nahm die Unterhaltungsbranche selbst in die Hand. Seit Mitte der Neunzigerjahre entwickelte sich eine eigene kapitalistische Unterhaltungskultur in Russland, und das mit großem Erfolg. In der Hauptstadt wird jeden Monat ein neues Stripteaserestaurant eröffnet, und jedes Mal ist es etwas Einzigartiges, wovon der Westen nur träumen kann.
Als ich 1999 dort war, besuchte ich zusammen mit meinem Schwager Sergej die Neueröffnung des »Antiken Stripteaserestaurants Pirr« in der Siegergasse. Zusammen mit den In-Klubs »Imperium der Leidenschaft« und »Nackter Bär« gehört diese Einrichtung zur Avantgarde der postsozialistischen Erotik. Die Haupthalle sah aus wie eine Gruft, war großzügig mit antiken Gegenständen vollgestellt und mit vielen Kerzen ausgeleuchtet. Die männliche Bedienung hatte man als Gladiatoren verkleidet, die weibliche als Hetären. Das Personal durfte sich nur in Reimen äußern. »Für unsere wertvollen Gäste vollführen wir jede noch so verrückte Geste«, begrüßte uns eine junge Kellnerin in Toga und Sandalen, als Sergej und ich uns an einen leeren Tisch setzten. Sergej hatte gerade eine mehrmonatige Trunksucht hinter sich und war wieder auf wilde Abenteuer scharf. Laut Speisekarte wurden in dem antiken Stripteaserestaurant außer teurem Essen drei Sorten von Unterhaltung angeboten:
Der Gast konnte mit Gladiatoren kämpfen oder sie am Sack kratzen, er durfte sich von den Hetären füttern lassen oder sie an den Busen fassen. Außerdem konnte man in einem Nebenraum einen Privattanz von Gladiatoren und Hetären bestellen. »Für fünfzehntausend Rubel extra spielt der Chefkoch für Sie Akkordeon«, stand noch ganz unten auf der Speisekarte. Der Chefkoch kam auch zu uns an den Tisch, um sich vorzustellen. Er sah aus wie ein Doppelgänger von Zeus, trotzdem hatten wir Zweifel an seiner musikalischen Begabung - fünfzehntausend Rubel sind eine Menge Geld: fast eintausendfünfhundert Mark. Also bestellten wir zuerst einfach ein Fass antiken Rotwein und schauten uns um. Das Ganze sah aus wie ein Naturkundemuseum, nur dass die zahlreichen Gäste in ihren Armani- Anzügen irgendwie nicht ins Bild passten.
Nach zwei Litern wollte Sergej sich unbedingt mit einem der Gladiatoren anlegen. Er verhandelte hart, fand es aber dann doch zu teuer. Die Bedienung redete die ganze Zeit in Reimen auf uns ein, was sich als äußerst ansteckend erwies. Schon nach kurzer Zeit dichteten wir wie wild zurück. Mit Anstrengung leerten wir derweil das Fass. Danach gingen wir in voll antikem Zustand an die frische Luft. Sergej behauptete zwar, der Abend fange jetzt erst richtig an, und wollte sofort schräg gegenüber in die »Kaserne der Liebe« gehen, eine Schwulenbar in einer ehemaligen Badeeinrichtung. Dort, so versprach uns der Türsteher, würden in den zahlreichen engen Duschkabinen Stühle und Tische stehen und junge Männer sich einander in die Ärsche gucken.
»Kommt rein«, erzählte er uns weiter, »ich habe gerade eben eine Touristengruppe aus Kalifornien reingelassen, supertolle Cowboys frisch aus dem Flugzeug, es kann heute richtig lustig werden.« Sergej wollte ihm nicht glauben und ging aus Neugierde hinein, ich aber hatte bereits die Nase voll von der neuen russischen Unterhaltungskultur und machte einen Spaziergang an den Moskauer See. Die Nacht war warm, die Uferpromenade voller Spaziergänger. Immer
Weitere Kostenlose Bücher