Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
Vom Netzwerk:
war Bikov zweifelsohne für viele ein heller Stern, eine echte sibirische Legende. Sein Aufstieg hatte erst spät begonnen, lange nachdem die spontane wirtschaftliche Privatisierung in Russland Anfang der Neunzigerjahre in einen Krieg ausgeartet war: Auf der einen Seite standen die ehemaligen Betriebsdirektoren, die ihre eigenen Fabriken privatisieren wollten und sich dafür selbst Kredite bewilligten, sowie die regionalen Parteibonzen und Polizeichefs, die alle Businessmen werden wollten. Auf der anderen Seite standen die Kriminellen, wegen ihrer Ganzkörpertätowierungen in Russland »Blauhäute« genannt. Die beiden Parteien verknäulten sich ineinander.
    Im sibirischen Krasnojarsk brach 1991/92 der erste Aluminiumkrieg aus, in dem es um hunderte von Millionen Dollar ging, denn Aluminium war ein Exportartikel der Extraklasse. Anatolij Bikov blieb damals zunächst noch außen vor. Er hatte am dortigen Pädagogischen Institut sein Diplom als Sportlehrer gemacht und arbeitete an einer Schule seiner Heimatstadt Nasarowo, die eigentlich nur ein Kohlenschacht in der Nähe von Krasnojarsk war. Dort kümmerte er sich um die Jugendlichen und organisierte unter anderem einen Boxklub, damit sie nicht beschäftigungslos auf der Straße herumhingen. Viele seiner Freunde fuhren regelmäßig nach Krasnojarsk, um dort Geschäfte zu machen, er aber blieb Sportlehrer. Einmal beklagten sich ein paar Freunde von ihm über all die Probleme, mit denen sie es in der großen Stadt zu tun hatten, wo ihnen die Blauhäute partout Schutzgelder abpressen wollten. Bikov versprach zu helfen. Er fuhr mit seinen Boxjungs nach Krasnojarsk, traf sich mit den Kriminellen und klärte sie darüber auf, dass sie keine Chance gegen seine durchtrainierte Truppe hätten. Danach mieden diese Bikovs Freunde nach Möglichkeit.
    Die Geschichte machte in den Kreisen der neuen Unternehmer von Krasnojarsk die Runde. Bald sprachen alle nur noch von dem Verrückten, der ehrliche Geschäftsleute beschützte und dafür nicht einmal Geld nahm. Immer wieder wurde Bikov daraufhin mit seinen Boxern nach Krasnojarsk gebeten. Sein Ansehen wuchs. Wenig später erzählte schon jeder zweite Geschäftsmann in der Stadt stolz, er arbeite mit Bikov zusammen. Schließlich zog Bikov nach Krasnojarsk. Die Miliz und die Kriminellen mussten ihn notgedrungen in ihre Gesellschaft integrieren. Sie wählten ihn sogar zu ihrem Schiedsrichter: Bikov sollte bei allen laufenden und zukünftigen Streitereien zwischen den verfeindeten Parteien schlichten. Doch mit dieser Rolle gab sich der ehemalige Sportlehrer bald nicht mehr zufrieden. Er hatte begriffen, dass die Direktoren und die Milizchefs genau wie die Blauhäute sich nur um ihre eigenen Gewinne sorgten. Nicht im Traum wäre ihnen eingefallen, irgendetwas für ihr Land und das Volk zu tun.
    Warum müssen es immer nur solche Leute sein, die in unserer Region das Sagen haben?, dachte sich Bikov. Er baute seine Boxschule in Krasnsojarsk weiter aus und stieg selbst in das Aluminiumgeschäft ein. Es begann ein zweiter Aluminiumkrieg, und diesmal schienen die sibirischen Kriminellen die Verlierer zu sein. Einer nach dem anderen wurde erschossen. Den »Schnurrbart« erwischte es vor seinem Haus, der »Schrille« wurde mit seinem eigenen Mercedes in die Luft gesprengt, und der »Gestreifte« wurde im Bett erstochen. Innerhalb weniger Monate waren zwei Dutzend kriminelle Autoritäten verschwunden. Nur ein paar ganz große wie Pascha Lichtmusik überlebten.
    In der Stadt war man der festen Überzeugung, dies alles wäre allein Bikovs Verdienst. Doch er selbst sagte dazu nichts, sondern lächelte nur verlegen, wenn das Gespräch darauf kam. Aber schon bald hatte er genügend Aktien des Aluminiumkombinats in seinem Besitz, um Vorsitzender des Aufsichtsrates zu werden. Gleich anschließend verscheuchte er auch noch die amerikanischen Investoren, alles ehemalige Russen, die das Kombinat kaufen wollten. So wurde er zum Alleinherrscher von Krasnojarsk und zum Robin Hood Sibiriens.
    Als Erstes baute Bikov in Krasnojarsk eine orthodoxe Kirche sowie eine Moschee und eine Synagoge, dann eröffnete er ein neues Waisenhaus, eine Schule für begabte Kinder, mehrere Sportvereine und fing an, den Arbeitern im Aluminiumkombinat anständige Löhne zu zahlen. Wie einst die argentinische Evita Peron überschüttete er das Volk mit Wohltaten, vergaß aber auch sich selbst dabei nicht, wobei er gar nicht erst versuchte, seinen Reichtum zu verstecken. »So wie ich

Weitere Kostenlose Bücher