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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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kann jeder bei uns leben«, meinte er. Bikov kam beim Volk gut an, und als er dann noch in die Politik ging und seine Kandidatur für das russische Abgeordnetenhaus anmeldete, wunderte sich keiner mehr, dass er gleich auf Anhieb fünfundsiebzig Prozent der Stimmen bekam.
    Damit war er aber auch den politischen Machtinhabern in Sibirien nicht mehr geheuer. Als gemunkelt wurde, dass Bikov beabsichtigte, die letzte Blauhaut in der Stadt umzulegen, Pascha Lichtmusik, stellten sie ihm eine Falle. Ein von der Staatssicherheit zuvor verwanzter Profikiller sollte Bikov seine Dienste anbieten. Im Fernsehen zeigte man die Leiche von Pascha Lichtmusik, und der Profikiller brachte Bikov die Rolex des angeblich Toten als Beweis dafür, dass er seine Arbeit erledigt hatte. Die Uhr war als Belastungsmaterial gedacht und sollte später gegen Bikov verwendet werden. Doch der war nicht blöde, er nahm sie nicht an und meinte sogar, die ganze Geschichte interessiere ihn überhaupt nicht. Doch obwohl es keinerlei Beweise gab, wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen. Bikov flüchtete nach Ungarn, wurde dort verhaftet, nach Moskau ausgeliefert und in Untersuchungshaft gesteckt.
    Bis zu diesem Punkt hatte der Schriftsteller Limettrow seine Geschichte in Sibirien genau recherchiert. Er hatte Monate in Krasnojarsk verbracht, sich mit dem ersten Lehrer von Bikov getroffen und sogar den Kindergarten besichtigt, in dem Bikov seine Kindheit verbracht hatte. Außerdem hatte er sich mit mehreren Arbeitskolleginnen von Bikovs Mutter getroffen, die ihr ganzes Leben lang als Putzfrau gearbeitet hatte. Als Limettows Buch gerade fertig war, wurde er verhaftet: »Wegen Aufrufs zum bewaffneten Widerstand«, wie es in der offiziellen Pressemitteilung hieß. Außerdem soll er in Sibirien versucht haben, zwei Dutzend Luft-Boden-Raketen von der chinesischen Volksarmee zu erwerben. Wenig später saß er schon mit dem Geschäftsmann Bikov zusammen im selben Knast. Die beiden Männer sahen sich regelmäßig bei ihren Spaziergängen im Hof und redeten miteinander, wie Moskauer Journalisten dann herausfanden. Pascha Lichtmusik lebte derweil draußen unter einem anderen Namen weiter munter vor sich hin und genoss das Zeugenschutzprogramm. Er beabsichtigte sogar, für das russische Abgeordnetenhaus zu kandidieren. Die amerikanischen Kollegen von Limettow, Mister Ames und Mister Taibbi, besuchten den Schriftsteller nicht ein einziges Mal im Knast, stattdessen amüsierten sie sich weiter in den zahlreichen Stripteaselokalen der Hauptstadt und sammelten dort Erfahrungen für ein zweites Buch über das wilde russische Leben, das möglicherweise bald erscheinen wird.
    Nicht nur bei den Amerikanern, auch bei den Europäern lösten die russischen Stripteaselokale große Begeisterung aus. So etwas Exotisches gab es nirgendwo sonst auf der Welt, behaupteten viele Westler. Besonders die wohlhabenden Bewohner Moskaus waren auf ihre Klubs und Kabaretts sehr stolz und gingen immer wieder gerne dorthin. »Wie in Amerika,nur besser, mit mehr Kultur!«, sagten sie zum russischen Striptease, einer wahrhaft seltsamen Angelegenheit. Seine Geschichte begann mit der Perestroika. Jahrzehntelang schilderte die sowjetische Presse detailliert und genüsslich, wie die bourgeoise Kultur im Westen schillernd verfaulte, wie die Kapitalisten sich verzweifelt mit immer neuen Portionen Sex, Drugs and Rock 'n' Roll betäubten, wie sie vergeblich versuchten, damit ihrem sinnlosen kapitalistischen Leben einen letzten Halt zu geben, bevor sie endgültig vom Sozialismus überrollt würden. Der sowjetische Bürger las darüber in der Zeitung, beneidete die Genossen im Westen und trank seinen aidssicheren Wodka in der Küche weiter.
    Als der Sozialismus dann plötzlich den Geist aufgab, dachten die Russen: Na also! Jetzt werden wir uns wohl auch so toll amüsieren wie die Kollegen drüben: wilder Sex, laute Musik und teurer Alkohol an jeder Ecke, mit einem Wort - Unterhaltung pur. Die russischen Experten fuhren sofort nach Europa und Amerika, um alles genau zu studieren. Und schon 1991 stand im Moskauer Park für Kultur und Erholung der erste gepanzerte Stripteasecontainer. Für fünfundzwanzig Rubel konnte man dort durch kugelsicheres Glas zwei blonden Frauen zuschauen, wie sie sich langsam auszogen und dann wieder langsam an. Der Container hatte auch ein kleines Loch, gerade so groß, um einen Zeigefinger durchzustecken. Für einige Rubel extra näherte sich die eine oder andere Stripperin dem Loch, und

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