Die Reise nach Trulala
Ich wurde schnell ziemlich breit und unterstützte meinen Freund, indem ich ab und zu bedeutungsvoll den Kopf schüttelte und kicherte. Diana Amerikowna saß in der Ecke und fütterte ein kleines amerikanisches Bologneser Hündchen mit den Keksen aus Südafrika. Dem schneeweißen Hund schmeckten die Apartheidkekse außerordentlich gut.
»Es war alles sehr interessant, was Sie uns hier erzählt haben«, sagte der amerikanische Journalist auf einmal, »aber jetzt müssen wir noch eine kleine Videoaufnahme von Ihnen machen und fertig ist der Beitrag.« Er zwinkerte uns zu, seine Kollegin bückte sich und zerrte unter dem Bett eine große Videokamera hervor.
Mein Freund Katzman wehrte ab: »Nein«, sagte er, »das mach ich nicht mit, ich sehe heute einfach zu beschissen aus.« Auch Diana wollte sich partout nicht filmen lassen. Und ich kniff ebenfalls. Daraufhin entbrannte ein heftiger Streit, und nach langem Hin und Her trat Katzman doch noch als Hauptideologe unseres kleinen Trupps vor der Kamera auf. Das waren wir den Amerikanern einfach schuldig. Immerhin hatten wir über zwei Stunden in ihrem Hotelzimmer gesessen, ihre Zigaretten geraucht und ihr Bier getrunken. Und das alles war extra für uns organisiert worden. Allein fürs Bier hatten sie zwanzig Dollar hingeblättert.
»Darf ich vor der Kamera sagen, was ich wirklich denke?«, fragte Katzman misstrauisch unsere Gastgeber.
»Aber natürlich, nur zu!«, freuten sich die Amerikaner. Katzman drückte sich in einen der weichen Sessel, mit einer Dose Bud in der einen Hand und einer brennenden Salem in der anderen. Sein Gesicht bedeckte sich langsam mit roten Flecken. Mein Freund sah aus wie ein Doppelagent, der die ersten Interviews nach seiner Enttarnung gibt.
»Guten Tag«, sagte Katzman mit ungewöhnlich hoher Stimme in die Kamera. »Ich heiße Mischa. Ich wohne hier. Ich liebe meine Heimat die Sowjetunion und vor allem ihre Hauptstadt: die Heldenstadt Moskau. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.« Nach einer langen Pause fing der Amerikaner an, nervös zu lachen, seine Kollegin auch. Das Bologneser Hündchen kotzte plötzlich auf den Teppich. Als wir aus dem Hotel rauskamen, war es schon sehr spät. Wir hatten die Straßenbahn für uns allein und spotteten über Katzman.
»Ich liebe die Heldenstadt Moskau! Das gibt's doch nicht!«
Dieser Satz wurde ihm noch lange nachgetragen. Alle unsere Bekannten wussten bald von der Geschichte im Hotel Intourist und fühlten sich verpflichtet, Katzman immer wieder damit zu ärgern. Was aus dem Beitrag des CBS geworden war, haben wir nie erfahren.
Ende der Achtzigerjahre entdeckten wir Amerika Schritt für Schritt weiter, als sich der sozialistische Käfig langsam öffnete und immer mehr Produkte aus den Vereinigten Staaten zu uns kamen. Die meisten waren eine große Enttäuschung: Überall liefen nun amerikanische Filme - fast alle waren langweilig -, die T-Shirts in den Farben der amerikanischen Fahne konnte man an jeder Ecke erwerben - aber sie verfärbten sich beim ersten Waschen -, und vor dem ersten McDonald's am Puschkinplatz bildete sich eine dreieinhalb Kilometer lange Schlange - sie hielt jedoch nicht einmal ein Jahr. Täglich wurde sie kürzer und kürzer, bis sie eines Tages ganz verschwand. Amerika brach quasi vor unseren Augen zusammen. Diese Zeit war durch ein wachsendes Desinteresse an westlichen Symbolen gekennzeichnet. Das Lied »Good bye, America« von der russischen Kultband Nautilus Pompilius wurde damals zum Hit der Saison. Es klang wie ein Abschied von der Kindheit, von der Sehnsucht nach einer noch besseren Welt: »Good bye America, du!«, sang der Solist mit trauriger Stimme.
Nimm dein Banjo und deine Jeans und hau ab.Nein, warte noch, zum Abschied kannst du mir noch ein letztes Mal dein Lied singen.
Ein Lied über das Land meiner Träume, das mich verarschte, du!
Immer mehr Ausländer tauchten zu der Zeit in Russland auf, um dort ihre Geschäfte zu machen. Die meisten von ihnen waren Europäer, aus Amerika kamen nur Exilrussen, die zwar amerikanische Pässe besaßen, aber keine echten Amerikaner waren. Die echten lernte ich erst später, Mitte der Neunzigerjahre, in Ostberlin kennen. Sie alle waren aus ihrer Heimat geflüchtet und versuchten, es sich nun in Berlin gemütlich zu machen. Ich nannte sie die Amerikaner im Exil - alles ganz unterschiedliche Leute. Sie hatten nur eines gemeinsam: Sie wollten alle keine Amerikaner sein und versteckten ihre wahre Identität. Der eine arbeitete als
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