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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Rausschmeißer in einer proletarischen Berliner Kneipe und erzählte jedem, der ihn nach seinem Akzent fragte, er sei aus Nordkanada abgehauen und wäre der jüngste Sohn einer Holzfällerdynastie. Solche Geschichten kommen bei den hiesigen Eingeborenen immer gut an: Sie verherrlichen alle die körperliche Arbeit, je länger sie arbeitslos sind, desto mehr. Doch in Wirklichkeit kam der Mann aus dem sonnigen Kalifornien, und niemand in seiner Familie hatte je eine Motorsäge in der Hand gehabt. Der andere Amerikaner war Betreiber eines Feinkostladens in Berlin-Mitte: »Spezialitäten aus der Provence«. Er rauchte Pfeife, trug Hemden aus Seide und sprach Deutsch mit einem leicht französischen Akzent. Gerne erzählte er von seiner Jugend in Marseille, er war aber ein hundertprozentiger Amerikaner aus Detroit.
    Auch unter den Studenten der Humboldt-Universität konnte man Anfang der Neunzigerjahre viele Amerikaner finden. Sie studierten die skurrilsten Wissenschaften, beispielsweise Theologie oder Slawistik, und schienen mit sich und der Welt sehr zufrieden zu sein.
    Einer von ihnen, ein Slawist namens John, verführte unsere ukrainische Freundin Lisa, die 1993 mit uns zusammen im Haus in der Lychener Straße wohnte und sich ebenfalls bei den Slawisten der Humboldt-Universität eingeschrieben hatte. John konnte ganz gut Russisch, weil er zwei Jahre lang in einer Abteilung der amerikanischen Armee gedient hatte, die direkt an der deutschdeutschen Grenze unweit von Magdeburg stationiert gewesen war. Ihre Aufgabe war die Funküberwachung sowjetischer Truppen. Tag für Tag war John mit Kopfhörern in einem gut getarnten Wagen gesessen und hatte versucht, die Meldungen des russischen Militärs abzufangen: Er schrieb alles auf, was er entziffern konnte, nicht nur die russischen Militärberichte, sondern auch die Unterhaltungsprogramme des Rundfunks der sowjetischen Armee. Diese Programme bestanden zum größten Teil aus Musik und sollten die sowjetischen Soldaten bei der Erfüllung ihrer internationalen Pflicht in dem fernen Land bei Laune halten.
    Alle sowjetischen Einheiten, die entlang der deutschdeutschen Grenze stationiert waren, hatten ihre Lieblingssängerinnen. Die Auswahl war damals nicht besonders groß. Es sollten vor allem schöne Frauenstimmen sein, der Text und die Musik waren unwichtig. Jedes Mal bevor ein Lied gesendet wurde, erfolgte eine Ansage: »Und nun, liebe Kameraden, singt Schanna Bitschewskaja für die Soldaten unserer berühmten Division 17039 das Lied >Deine Heimat vergisst dich nie<.« Nicht die Lieder selbst, sondern die Nummern der Einheiten sollte der Soldat John sorgfältig notieren. Wenn die Stimme der Sängerin Schanna zum Beispiel lange nicht zu hören war, bedeutete dies, dass die Einheit 17039 verlegt worden war. Auf diese Weise konnten die Amerikaner die Bewegungen der russischen Truppenteile nachvollziehen.
    Als seine Dienstzeit zu Ende war, beschloss John, noch eine Weile in Deutschland zu bleiben. In Amerika warteten eigentlich nur die Eltern auf ihn, die sein Schicksal fest in ihren Händen hielten. Er sollte Zahnarzt werden wie sein Vater. Nur in Deutschland konnte er noch selbstständig Entscheidungen treffen und zum Beispiel Slawistik studieren. Außerdem waren die Amerikaner damals im Osten noch exotisch und sehr beliebt. Oft besuchte John, der selbst in einem Studentenheim am Ostbahnhof wohnte, unsere Lisa in der Lychener Straße. Er schaute dann auch bei uns vorbei und führte endlose Diskussionen mit Andrej, der mit mir eine Wohnung teilte.
    Andrej war zur selben Zeit wie John in der Armee gewesen. Weil er gut Englisch konnte, war er als Funker bei der so genannten »Westgruppe der sowjetischen Armee« in Deutschland eingesetzt und gerade vor Johns Nase stationiert gewesen. Soldat Andrej war für die Funküberwachung der Amerikaner zuständig. Seine Aufgabe bestand darin, alle amerikanischenMeldungeninklusiveder Unterhaltungsprogramme abzufangen und die Nummern der Einheiten sowie auch die dazugehörigen Songs aufzuschreiben. Zwei Jahre lang saß Andrej in einem gut getarnten Wagen mit Kopfhörern und Stift und lauschte. Für die Amis sangen hauptsächlich die Männer. »Guten Morgen, Germany«, sagte der Moderator, »heute singt Roger Daltey - live aus Arizona - für unsere tapferen Spear Heads der 78. Unit im Harz >I can explode every minute.«
    Die Gespräche der beiden Exsoldaten hörten sich für Außenstehende an wie Dialoge zwischen zwei Schwerkranken in einer

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