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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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In Odessa gerieten wir in eine Cholera-Epidemie, die ganze Stadt wurde für Monate unter Quarantäne gestellt. Niemand durfte rein oder raus, aber wir waren schon drin, also blieb die Krim in jenem Jahr für mich unerreichbar. Später wurde ich von meinen Eltern regelmäßig in Pionierlager geschickt, die immer nördlich von Moskau lagen und deswegen preiswerter als der Süden waren. Viele meiner Mitschüler fuhren jedes Jahr mit ihren Eltern auf die Krim, kamen braun gebrannt zurück und erzählten anschließend in der Schule von Palmen, Papageien, Durchfällen und sonstigen Abenteuern, die zu einem Urlaub am Schwarzen Meer anscheinend dazugehörten.
    Für die Erwachsenen schien die Krim dagegen nicht selten eine Art russisches Bermudadreieck zu sein, eine wunderbare Möglichkeit, spurlos zu verschwinden. So kehrte zum Beispiel auch unser Nachbar, Onkel Oleg, nicht mehr aus seinem Urlaub dort zurück. Er hatte eine Woche in einem der vielen Krimsanatorien gebucht. Nach zehn Tagen war er noch immer nicht zurück, und alle in unserem Haus hielten es für ihre Pflicht, bei seiner Frau anzuklopfen und dieser ihr herzliches Beileid auszudrücken. Nach zwanzig Tagen bekam sie ein Telegramm von dem Verschollenen: »Bin auf der Krim aufgehalten worden, brauche Geld für die Rückfahrt.« Der Inhalt des Telegramms wurde sofort im ganzen Haus bekannt. Die wildesten Spekulationen kamen auf. Die meisten waren überzeugt davon, dass Onkel Oleg eine Affäre mit einer der sagenhaften Krimschönheiten angefangen hatte. Sie überfielen bekanntlich jeden allein reisenden Touristen und sogen ihn bis zum letzten Tropfen aus. Die Ehefrau überlegte hin und her, dann überwies sie trotz ihrer Bedenken das Geld.
    Eine Woche später bekam sie erneut ein Telegramm. Diesmal war der Text noch kürzer: »Bin auf Krim, brauche Kohle.« Die Ehefrau spielte mit dem Gedanken, sich selbst auf die Reise zu begeben. Das war aber wegen ihrer Arbeit und der Kinder nicht möglich. Also schickte sie ihrem Ehemann noch einmal telegrafisch Geld. Daraufhin hörte man zwei Wochen nichts mehr von Onkel Oleg. Dann meldete er sich wieder mit einer verwirrenden Botschaft: »Bin Krim - Kohle.« Diesmal weigerte sich die Ehefrau, zur Post zu gehen. »Es reicht mir«, sagte sie. Nach einem Jahr nahm ein anderer Mann die Stelle von Onkel Oleg bei ihr ein. Er selbst meldete sich nie mehr. »Bin Krim - Kohle« war seine letzte Botschaft gewesen. Mit der Zeit entwickelte sich der Satz zu einem populären Sprichwort erst in unserer Gegend und dann im ganzen Bezirk Kunzewo. Wenn der eine oder andere Ehemann von der Parteiversammlung zu spät nach Hause kam und nach Parfüm roch oder wenn er mit seinen Kollegen zum Fußball gegangen war und erst am nächsten Morgen wieder bei seiner Familie erschien, hieß es stets: »Bin Krim - Kohle.«
    Mit achtzehn unternahm ich eine große Reise durch die Sowjetunion. Fast ein Jahr lang war ich zusammen mit einigen Freunden unterwegs. Unser Ziel war es, das Land kennen zu lernen, wilde Abenteuer zu erleben und uns vor der Einberufung zu drücken, die uns damals allen bevorstand. Von unserem Kreuzzug blieb keine der fünfzehn Republiken der Sowjetunion verschont, außer Tadschikistan, das wir im Zug verschliefen. In Lettland überwinterten wir, die Bevölkerung und die Miliz dort waren sehr liberal und begegneten uns freundlich. In der Ukraine konnten wir im Sommer unter freiem Himmel übernachten, und besonders auf dem Land gab es viele Möglichkeiten, ohne Geld zu leben.
    Einmal streiften wir auch über die Krim. Wir zelteten auf einem Hügel in der Nähe des Sees Tepli Saki, was sich mit »warme Pisse« übersetzen lässt. Dieser merkwürdige Name kam daher, dass das Wasser dort sehr salzig und ungewöhnlich warm war. Rund um den See befanden sich verlassene Salzminen, zwei Kilometer von unserem Lager entfernt das gleichnamige Dorf. Die Dorfjugend besuchte uns gleich am ersten Tag und behauptete, wir würden ihr Territorium für unsere Zelte benutzen und wollte Geld dafür kassieren. Wir hatten kein Geld und auch keine Angst vor den Warmpissern. Sie dachten, wir wären Großstadtstudenten auf Urlaub, dabei waren wir schon ein Jahr unterwegs gewesen und mittlerweile auf alles gefasst. Außerdem waren wir in der Überzahl. Nach einer kurzen Verhandlung schubsten wir die Jungs von unserem Hügel herunter. Die Warmpisser gaben aber nicht auf. Sie änderten ihre Taktik und alarmierten die Miliz. Am Ende mussten wir die Krim verlassen.

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