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Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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besonders ältere Menschen könnten sich an den deutschen Flieger noch gut erinnern. Sie hätten als Kinder oft an dem Platz gespielt, wo dann im Krieg die Maschine abstürzte. Der freundliche Besitzer der Gaststätte hatte Martin sogar ein Stück vom Flügel des abgestürzten Flugzeugs zum Kauf angeboten. Eigentlich verstoße es gegen das Gesetz und könne schwere Folgen für ihn und seine Familie haben, aber Martin sähe seinem Sohn sehr ähnlich, der mit vierzehn von einem Zug überfahren wurde, und von daher würde er ihm diesen Gefallen tun, für lausige tausend Dollar. Außerdem stünden noch andere Antiquitäten aus der Kriegszeit zum Verkauf: Fleischkonserven aus der Beuys-Tasche, die das spätere Genie gleich nach dem Absturz an die einheimischen Kinder verteilt habe, dazu irgendwelche halb abgebrannten Kleidungsstücke und Armeestiefel.
    »Das ist alles Beschiss«, unterbrach ich Martin, »der Busfahrer steckt bestimmt mit den Pseudo-Tataren unter einer Decke«, vermutete ich.
    »Das sehe ich auch so«, gab Martin zu, »aber das alles bedeutet, dass wir wahrscheinlich nicht die Einzigen sind, die hier nach Beuys fragen. Es gab wahrscheinlich mehrere Expeditionen aus Deutschland hierher, nur, wo sind die Ergebnisse festgehalten?«
    Ich empfahl Martin und seiner Freundin, sofort das Dorf Trulala zu verlassen, keine Flugzeuge, keine Stiefel und auch keine Fleischkonserven zu kaufen, sondern einfach nach Jalta zurückzufahren, den Fahrer dankend auszuzahlen und wieder nach Hause zu fliegen. Martin hatte aber eine neue Idee. Er wollte nun unbedingt die Deutschen finden, die bei den Pseudo-Tataren die Flügel von Beuys' Flugzeug gekauft hatten.
    »Es muss eine Menge solcher Leute gegeben haben«, meinte Martin.
    Ich wünschte ihm viel Glück.
    Drei Tage später kamen Martin und Anke nach Berlin zurück und riefen mich an. Er hätte unglaubliche Dinge entdeckt, sagte Martin, die Expedition wäre ein voller Erfolg gewesen, aber er könnte das unmöglich alles am Telefon erzählen. Ich war gespannt und fuhr sofort zu ihm nach Karlshorst. Die beiden hatten ihre Rucksäcke noch nicht ausgepackt und waren auch geistig wahrscheinlich noch auf der Krim. Sie waren der Sache mit dem Beuys-Reliquienhandel nachgegangen und hatten in Jalta einen Moskauer Sozialwissenschaftler getroffen, der dort für seine Doktorarbeit recherchierte. Sie hieß »Betrug als Überlebenschance« oder so ähnlich. Der Soziologe hatte rund um Tepli Saki bereits drei verschiedene Siedlungen entdeckt, die alle von den Beuys-Legenden profitierten.
    »Fast jedes Jahr im Sommer«, so erzählte ihnen der Wissenschaftler, »kommen Deutsche auf die Insel, die sich mit Beuys beschäftigen. Es sind aber nicht allzu viele, deswegen ist die Konkurrenz unter den Dörfern sehr groß. Sie müssen sich jedes Jahr etwas Neues einfallen lassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Interessanteste dabei ist, dass es in den Dörfern tatsächlich Menschen geben muss, die noch den Krieg in diesem Gebiet miterlebt haben und sich also durchaus an den Absturz erinnern könnten.«
    Außerdem hätten sich die Filzproduktion und die Heilmedizin auf der Basis von Honig und Fett unter dem Einfluss der Beuys- Erben und -Schüler nach dem Tod des Künstlers in der Gegend tatsächlich etabliert. Man könne dabei aber Betrug und Wahrheit schwer auseinander halten, meinte er.Martin erzählte dem Moskauer Soziologen von den Flugzeugteilen und den Beuys-Fleischkonserven, die sie beinahe gekauft hätten.
    »Das ist doch noch gar nichts«, meinte der Soziologe und machte eine geheimnisvolle Miene. »Habt ihr schon den Sohn von Beuys kennen gelernt? Wenn nicht, dann kann ich euch zu ihm führen. Ich verspreche euch, es wird ein unvergessliches Erlebnis. Ihr müsst ihm nur ein bisschen Geld geben, damit er sich nicht ausgebeutet fühlt.«
    Zu dritt stiegen sie in den alten Wagen des Wissenschaftlers und fuhren zurück nach Trulala. Kurz vor dem Dorf, wo der Absturzort ausgeschildert war, bogen sie nach rechts ab und fuhren auf einer engen Landstraße zwischen zwei Sandfelsen Richtung Schwarzes Meer. Nach ungefähr zehn Minuten erreichten sie das gesuchte Haus. Es gehörte wohl noch zu Trulala, sah aber nicht so authentisch aus wie die anderen Häuser im Dorf. Es war ein kleines Krimhaus aus weißem Sandstein mit einem Zaun, einem Garten und einer Sommerküche. Im Garten saß ein riesengroßer angeketteter Schäferhund. Er schaute die Ankömmlinge aufmerksam an, bellte aber nicht. Dadurch

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