Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
Vom Netzwerk:
wieder hörte ich Englisch. Wie viele Amerikaner lebten zurzeit in Moskau? Laut der Moskauer Zeitung »Der Ausländer« sollten es um die zehntausend sein. Die unvermeidliche Ordnung der Natur: Für jeden Arsch findet sich eine passende Hose, für jede Hütte ein Onkel Tom und für jeden ausgestoßenen Amerikaner ein neues Zuhause. Die Moskauer Amerikaner wurden schnell russifiziert. Sie konnten literweise Wodka trinken, zwei Kilo Hühnerschenkel auf einmal verspeisen, und ihren Urlaub verbrachten sie natürlich auf der Krim.
    »Ach, die Krim, da würde ich auch gerne mal hin«, sagte ich zu mir selbst und schaute ins Wasser.
     
    Verschollen auf der Krim
    Jedes Land hat einen besonders vornehmen Kurort, auf den es auch besonders stolz ist. Für die sowjetische Bevölkerung war es die Halbinsel Krim, ein abgefahrener Ort, an dem Träume wahr wurden. Einmal auf die Krim zu fahren, das war quasi für alle Bürger des Landes Pflicht. So wie Mallorca für Westdeutsche oder Hiddensee für die Ostdeutschen. Mit der Zeit entwickelte sich die Krim zu einer eigenständigen Metropole, die sich mit vielen Legenden schmückte. Dort schien immer die Sonne, und die schönsten Frauen des Landes liefen Tag und Nacht leicht bekleidet am Strand entlang. Die berühmtesten russischen Dichter, Künstler, Wissenschaftler und Generäle suchten dort Inspiration - und fanden stattdessen ein Haus mit Garten und Boot. Ihre Anwesen wurden später alle zu Museen. Die Häuser von Tschechow, Puschkin, Kotusow, Suworow, Aiwasowski und anderen sorgten so für die Kultur auf der Halbinsel.
    Auch die postsowjetische Geschichte des Landes hat dort bereits ihre Spuren hinterlassen. In Faros hielten militärische Verschwörer den ersten russischen Präsidenten Gorbatschow gefangen. Und Jelzin, der zweite russische Präsident, ging dort oft gut gelaunt baden. Zu den Krim-Attraktionen zählen ferner: der größte zoologische Garten des Landes, der größte Wasserfall, das größte Pionierlager und das größte Gemälde Russlands. Es ist das Panoramabild von F. J. Rubo, 1610 Quadratmeter groß. Sein Werk heißt »Die Verteidigung der Stadt Sewastopol gegen die englischen, französischen und türkischen Armeen«. Diesem Bild kann man entnehmen, dass alle Regierungen der Welt schon immer neidisch auf diese Perle des Schwarzen Meeres waren und bereits seit dem dritten Jahrhundert vor Christi Geburt versuchten, die Halbinsel zu erobern. Sogar die Genueser und die Mongolen versuchten es.
    Seit etwa zehn Jahren gehört die Krim nicht mehr offiziell zu Russland, und die meisten meiner Landsleute ärgern sich darüber schwarz. Was die feindlichen Armeen über Jahrhunderte hinweg nicht geschafft haben, das erledigten die russischen Politiker beim Frühstück. Mit der Auflösung der Sowjetunion wurde das Land wie eine Torte aufgeteilt, der damalige russische Präsident Jelzin hatte wahrscheinlich nicht richtig aufgepasst: Plötzlich war die Krim weg. Zurzeit gehört das gute Stück der ukrainischen Republik. Vielleicht verkaufen sie die Halbinsel irgendwann mal an Russland zurück, wenn sie ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können.
    In Wirklichkeit ist die Krim eine ziemlich finstere Gegend. Wie in jedem Touristenort wird die Bevölkerung dort von den Erholungssüchtigen ausgebeutet und umgekehrt. Die Krimbewohner haben über die Jahrtausende eine Hassliebe zu ihren Gästen entwickelt. Sie hassen die Touristen, weil sie die Ökologie der Insel zerstören und die Einheimischen nachts mit ihren Partys terrorisieren. Ende August wird es besonders schlimm. Dann greift die einheimische Jugend zu Hieb- und Stichwaffen und geht auf Touristenjagd. Fast immer kommt sie mit toller Beute zurück, und dafür liebt sie dann wieder die Touristen, weil sie die einzige Quelle ihres Wohlstands sind. Aus dieser Hassliebe heraus vermieten die Einheimischen selbst Übernachtungsmöglichkeiten in Hühnerställen für zehn Dollar am Tag, außerdem versuchen sie noch, jedem Gast ihre selbst genähten Tischdecken als Volkskunst zu verkaufen. Doch der Hauptgrund für die Verdorbenheit der Inselbewohner ist der Umstand, dass sie die Einzigen sind, die sich keinen Urlaub auf der Krim gönnen können. Sie leben ja dort.
    Als Kind habe ich meine erste Krim-Pflichtreise verpasst. Genauer gesagt haben meine Eltern sie damals in den Sand gesetzt. Wir waren schon auf dem Weg zur Krim, doch meine Mutter wollte vorher schnell noch ihre Verwandtschaft in Odessa besuchen, das auf dem Weg liegt.

Weitere Kostenlose Bücher