Die Reise nach Uruk
verursacht hatte.
»Umgebracht?« fragte er immer wieder geduldig, während das Chaos im Lager groteske Züge anzunehmen begann, um die er sich aber kaum kümmerte. Scheherazade war ihm wichtiger. »Wen umgebracht? Deinen Freier, der nach mir kam?«
»J-ja ...«
»Wie ist das passiert? Ist er unglücklich gefallen?«
»Nein ...« Die Lippen der Frau bebten, als sie das Gesicht von At-tars Schulter löste. Er konnte ihren heißen Atem spüren. » Er wurde umgebracht! Aber nicht von mir ...!«
»Von wem dann?«
Schreie schnitten in die Nacht. Nicht mehr nur aufgebrachtes, emotionsgeladenes Geplärr, sondern ängstliche, ja verzweifelte Schreie in höchster Panik und Not!
Attar war gezwungen, Scheherazade zu vernachlässigen. Sein Blick irrte zu den Armeeunterkünften, wo nicht nur Tumult, sondern Kämpfe ausgebrochen zu sein schienen.
Aber wer kämpfte gegen wen? Wer war so verrückt, um - »Das ist er!« Scheherazade war seinem Blick gefolgt.
»Er?« Attars dunkelgefärbte Stimme irritierte niemanden mehr als ihn selbst.
»Der Killer!«
»Was für ein ...?« Attar stockte. Etwas flog in hohem Bogen durch die Luft und schlug unweit von seinem Standort in den Wüstensand. Es dauerte fast drei Sekunden, bis er begriff, daß es ein Mensch war, ein Soldat, der wimmernd liegen blieb, kurze Zeit noch konvulsivisch zuckte, dann aber gleichzeitig mit seinem Verstummen auch jede Bewegung einstellte.
Attar zerrte Scheherazade mit sich, als er auf den Mann zueilte. Sie leistete keine Gegenwehr, schluchzte aber wieder lautstark.
Neben dem Toten angekommen, brauchte sich Attar nicht einmal zu bücken, um zu erkennen, woran er gestorben war. Der schwere Sturz war nicht ausschlaggebend gewesen. Gesicht, Hals und Brust waren regelrecht zerfleischt, als wäre er in die Fänge eines Tollwütigen geraten .
»Was für ein Tier ist das?« keuchte Ibrahim Attar, der begriffen zu haben glaubte, was ins Lager eingefallen war.
Scheherazades Antwort stürzte ihn jedoch in die nächste Konfusion. »Tier? Er benimmt sich wie ein Tier - aber er ist keins ... Be-stimmt nicht!«
Warum fielen keine Schüsse? Warum kümmerte sich niemand um das verdammte Licht?
Die Schreie wurden weniger. Aber das war kein Zeichen, daß man die Situation in den Griff bekam, im Gegenteil.
Als die letzte Stimme im Lager verstummt war, löste sich ein Schatten von anderer Qualität als das umgebende Dunkel daraus.
Er kam auf Attar und Scheherazade zu.
Unaufhaltsam, unwiderstehlich.
Der schrille, gequälte Laut aus der Kehle der Hure erstickte in Blut, und bevor Attar ihr folgte, kreisten seine Gedanken sonderbarerweise um eine eigentlich belanglos gewordene Frage, die ihn dennoch nicht losließ bis zum Ende:
Warum hat er Scheherazade überhaupt noch einmal entkommen lassen?
Warum hat er sie nicht auch gleich getötet? Wollte er sie glauben machen, sie hätte eine Chance ...?
Weiter kam er nicht in seinen Überlegungen. Der unbändige Zorn des Ankömmlings löschte auch sein Leben aus. Schwer fiel er in den Staub.
Danach kehrte Ruhe im Lager der irakischen Armee ein, Stille, die erst im Morgengrauen wich, als vom Horizont her ein Aufklärungshubschrauber nahte.
Zu diesem Zeitpunkt war der Verursacher des Massakers bereits in den Bauch der Erde hinabgestiegen, den Weg gegangen, den ihm die EWIGE CHRONIK gewiesen hatte ...
*
Es trug sich zu im Jahr 4477, daß der Ruf der Urmutter den Hüter Landru zurück in den Dunklen Dom befahl. Seine tausendjährige Amtszeit sei abgelaufen, erfuhr er, und nun solle er den Lilienkelch an seinen Nachfolger weiterreichen, damit auch dieser tausend Jahre lang die Saat vampirischen
Lebens über die Erde verbreiten konnte.
Landru gehorchte und reiste zum Berge Ararat, wo er sich in die dortige Heimstatt der Hüter begab, dorthin, wo auch er selbst einst den Lilienkelch empfangen hatte.
Aber die Urmutter hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits träumend von ihren Kindern abgewandt, und noch bevor Landru in den zum Dom gewordenen Resten der Dunklen Arche ankam, erwachte dort in einer der Kammern noch vor seinem legitimen Nachfolger jene Hohe Frau, die von der Urmutter erkoren worden war, alles Notwendige in die Wege zu leiten, um die Herrschaft der Vampire zu beenden - um jeden Vampir auf Erden, der sich vom Blut eines Menschen ernährte, in Staub und Asche zu zwingen.
Ea tötete den Bruder, der bestimmt gewesen wäre, den Lilienkelch zu übernehmen, und trat an seiner statt vor Landru. Doch dieser verweigerte die
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