Die Reise zum Ich
wie bei
seinen frühesten Kinderspielen, an die er sich nun zu erinnern
vermochte. Das Leben war schön; erst jetzt wußte er, in welchem Zustand der Depression er gelebt hatte. Was den Mangel an Richtung betraf, wurde diese durch das Verlangen nach
eigener und einer allgemeinen humanen Entwicklung ersetzt,
der er erfolgreich und kreativ mit seiner beruflichen Tätigkeit
diente.
Dies paßt durchaus in das Bild, das er von seiner Beziehung zu
seiner Kinderfrau abgab, wie sie sich in seiner Erinnerung
widerspiegelte, doch wer ihn kennt, könnte kaum bessere
Worte finden, um ihn selbst zu beschreiben. Man möchte meinen, daß er nun fähig war, die ersehnten Eigenschaften zu entwickeln. Dies tat er zum einen für sich, in der Suche nach
Selbstvollendung, zum anderen für seine Kinder, denen er jetzt
ein wertvollerer Gefährte sein konnte. Allmählich intensivierten sich auch seine sozialen und beruflichen Interessen und schließlich, Ende des Jahres, spürte er sogar echte Liebe zu
seiner Frau. Dieser letzte Schritt geschah nach einem Gespräch
unter Harmalin- und MDA-Wirkung, das man sehr eingehend
beschreiben müßte. Da es aber vorwiegend in einer Erweiterung des vorigen Gespräches bestand, verzichte ich hier auf seine Wiedergabe.
Meiner Ansicht nach besteht der Wert dieser Fallgeschichte
zum Teil darin, daß sie zeigt, welche Bedeutung das Aufdecken
der Vergangenheit und deren Erläuterung für den Heilprozeß
bei emotionalen Störungen hat. Sie zeigt aber auch, daß es nicht
nur auf die Erinnerung an bestimmte Begebenheiten oder gar
51
an bestimmte Empfindungen ankommt, vielmehr auf den Wandel der derzeitigen Sicht und damit der Emotionen, wie er durch die Konfrontation und Anerkennung der Realität, vergangene wie gegenwärtige, herbeigeführt wird. Die Sicht des Patienten vor Beginn der Therapie war Teil seiner »Maske«,
Teil der erlernten Rolle, nicht nur den »braven« Jungen zu
spielen, sondern auch seinen Eltern gegenüber tatsächlich die
Zuneigung eines braven Kindes zu hegen.
Diese Empfindungen konnten nur durch »Vergessen« der Fakten aufrechterhalten werden, die ihnen nicht dienten, vielmehr zu anderen, mit seiner Rolle nicht zu vereinenden Gefühlen
Anlaß gegeben hätten. Um dieses künstlichen Selbstbildes willen - das er sich geschaffen hatte, um den Forderungen seiner Eltern entsprechen zu können - mußte er die eigenen Erfahrungen, was er gesehen, gehört und gefühlt hatte, ignorieren (»meinem Selbst abschwören«). Dies erstreckte sich vermutlich auf alle Aspekte seiner Wahrnehmung, nicht nur auf die sensorischen alltäglichen und nicht nur auf die menschliche
Interaktion. Ein Beweis dafür war die bessere Sehkraft nach
der Behandlung und die Entdeckung noch ungekannter Nuancen und noch nie gehörter Laute der Natur. Das Tragen einer Maske war eine Frage des Alles oder Nichts. Es konnte nicht
nur für die Eltern geschehen, denn sie haftete so fest am Gesicht, daß sie auch den Blick für die Natur und den Sinn für Musik beeinträchtigte. Gleicherweise ist es eine Sache des Alles-oder-Nichts für die Person, sie selbst zu sein, - das heißt die
eigenen Sinne, das eigene Denken zu nutzen, seinen wahren
Gefühlen zu folgen. Man kann nicht programmieren und
gleichzeitig Empfindungen und Gedanken ihren Lauf lassen.
Nur das Offensein für das Unbekannte im Innern erlaubt die
Entdeckung des Augenblicks - wie in apulejus' Geschichte
von Amor und Psyche, wo der Gott zur Bedingung macht, daß
man nicht fragt, wer er sei.
Für diesen Patienten hieß das »Selbst-Sein« sich den eigenen
Gefühlen zu erschließen, gleich unter welchen Bedingungen,
die Schleusen zu öffnen, die er errichtet hatte, um die in seinem
Lichte besehene Landschaft zu schützen. Schon früh in seinem
Leben hatte er erkannt, daß seine eigene Sicht seines Lebens
sich nur durch Unterdrückung der Realität aufrechterhalten
ließ. Unbewußt muß er dies immer gespürt haben (obwohl er
dies wie alles übrige bewußt ignorierte), und so hielt er sein
bewußtes Leben sozusagen wasserdicht unter Verschluß. Dies
52
erklärt seine anfängliche Resistenz gegen die Wirkungen des
MDA.
Und da sein Verteidigungssystem hochgradig intellektualisiert
war, ist es begreiflich, daß ein nicht-verbaler Zugang ihn am
ehesten zur spontanen Reaktion bringen konnte. Wie er selbst
schon bald im Gespräch kommentiert hatte, war an die Stelle
seiner Körperwahrnehmung ein a priori- Bild seiner selbst
Weitere Kostenlose Bücher