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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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Nana mehr liebte,
    oder vielleicht hatte der Vater mit ihr ein Verhältnis. »Und was
    empfinden Sie heute bei dem Gedanken an diese Entlassung?
    Nahmen Sie es hin, ohne zu protestieren? Und wenn ja, hatten
    Sie Schuldgefühle?« Und nun wurde es ihm klar, er empfand
    Schuldgefühle. Schuld, weil er nicht für seine Nana eingetreten
    war, sie nicht verteidigt hatte. Dies schien ihm nun der springende Punkt. Er hatte fortgewollt. Und auch später hatte er fortgewollt, doch seine Eltern erlaubten es nicht. »Es war entsetzlich ... ein Gefühl elender Schwäche!« Doch erinnert er sich auch, daß er nur vorgab, schwach zu sein, den braven
    Jungen nur spielte. Denn hätte er es nicht getan, wäre etwas
    Abscheuliches, Bedrohliches, sehr Unangenehmes passiert.
    »Sie kamen mir mit all diesem dummen Zeug von Schuld und
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    Hölle. Ich hatte eine sehr reale Vorstellung von der Welt,
    klar und einfach, das weiß ich . . . Und dann kam die Schar
    der Dämonen und Teufel und eine andere Welt, die der
    körperlichen Züchtigung . . . Dinge, die in meine Welt nicht
    paßten, mir auferlegt wurden. Wer war das gewesen?«
    Seine Großmutter mütterlicherseits? Er ist nicht ganz sicher.
    Weiter reminisziert er über Drohungen, Strafen, Sünde, Hölle
    und verzehrendes Feuer.
    »Es fiel mir sehr schwer, daran zu glauben. Feuer war Feuer
    in meinen Augen, und wenn Leute in die Hölle kamen,
    hatten sie keine Schuld. Und der Mensch besaß dann keinen
    Leib mehr und darum auch nichts, an dem er Leiden zu
    verspüren vermochte. Es war eine Lüge, ein Trick. Und
    wozu? Damit ich mich benehmen sollte. Ein Trick. Also
    wollte ich lieber ein Bösewicht sein, als etwas so Dummes zu
    glauben!«
    Während er vom Höllenfeuer spricht, taucht plötzlich das Bild
    der glühenden Kohlen vor seinem inneren Auge auf, in die ihm
    versehentlich
    die
    Halskette
    seiner
    Mutter
    gefallen
    war.
    Schmerz preßt ihm das Herz zusammen: Es war gar nicht die
    Kette seiner Mutter, wie er geglaubt hatte, sondern die seiner
    Nana. Sie hatte ihr gehört, die nichts besaß, und die man so
    schlecht behandelte.
    »Wer hatte nur von der Hölle erzählt? Vielleicht eines der
    Mädchen? Nein, jemand, der autoritär zu mir sprach: meine
    Mutter! Ja, es war meine Mutter. Sie belog mich. Wie
    schrecklich! Wie töricht! Und sie war der Anlaß, daß ich mit
    diesen Schuldgefühlen leben mußte. Und mit diesem Bestreben, zu sein, was ich nicht war, und mit dieser Furcht, der zu sein, der ich war. Welche Beschränktheit und Dummheit!
    Mich hartnäckig nach ihrem Geschmack modeln zu wollen.
    Sie hatte kein Kind, sie wollte es schaffen , nach ihrer Vorstellung! Sie zwang mir dieses dumme Zeug von Sünde und Hölle auf. Wer so etwas Dummes erzählte, konnte weder gut
    noch schön sein. Es ging ihr nur um das Standesgemäße, um
    ihre persönliche Reinheit, damit sie die Dame spielen
    konnte. Und auch mein Vater warein Schuft. Beide beuteten
    sie eine imaginäre Vorstellung aus. Es ist hart, die Eltern
    schrumpfen zu sehen. Wie klein erscheinen sie mir jetzt. Sie
    hatten sich gegen mich verschworen. Nicht gegen mich, sondern gegen Nana, gegen das Leben. Jetzt fällt es mir wieder ein, sie hielten mich für unintelligent. Ich aber hatte einen
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    scharfen Blick, ich war doch intelligent, ich konnte sie an der
    Nase herumführen. Ja, indem ich mich genau ihrer Argumente bediente, jener gleichen Argumente, die mich so niederdrückten. Sie unterwarfen mein Leben, das Leben ihres Sohnes, einem Haufen Gefasel!«
    Diese Darstellung weicht weit von der autobiographischen
    Schilderung seiner Eltern und seiner Gefühle für sie ab. Sogar
    das Eßzimmer hatte er als schön bezeichnet. Doch seine Intuition hatte ihn nicht betrogen: Etwas war im frühen Kindheitsstadium schiefgelaufen. Mit seinen Gefühlen war eine grundlegende Veränderung vorsichgegangen; sie wurden verschüttet unter einer Reihe von Pseudo-Gefühlen, die nur seine Eltern
    akzeptieren konnten. Kein Wunder, daß er sich limitiert und
    unerfüllt fühlte.
    Gespräch und Behandlung hatten am Mittag begonnen, und um
    drei Uhr morgens ging der Patient zu Bett. Am nächsten Tag
    gingen ihm alle diese Dinge weiter durch den Kopf, und gegen
    Mittag des folgenden Tages sprach er, unter Tränen, seine
    Meinung zu den gestrigen Vorgängen auf Band:
    »Ich muß immer noch darüber nachdenken: Warum glaube
    ich, meine Kinderfrau hätte so viel gelitten? Oder war in
    Wirklichkeit ich es, der so litt? Sie war vielen Dingen

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