Die Reise zum Ich
gegen
über so gleichgültig, daß sie vielleicht gar nicht unglücklich
war. als man ihr sagte, sie müsse gehen. Leid tat ihr nur der
kleine Junge, der nun allein blieb. Das war ihr einziger Kummer. Und für mich war es ein Unglück, vollkommen unvorbereitet allein gelassen zu werden. Ich litt in der Tat an diesem Schlag. Ich litt, weil meine Nana ging, ich litt, weil
man sie hinauswarf, ich litt, weil ich allein blieb. Ich litt, weil
sie unanständig behandelt wurde und ich litt an meiner Ohnmacht. Ich war nicht in der Lage, etwas zu tun. Ich verlor einen Teil meiner selbst. Wie unüberlegt von meinen Eltern.
Fehlende Neigung, eine Fehlhandlung, Selbstsucht. Sie hatten mich überhaupt nicht lieb. Reines Theater, reines Theater. Vielleicht sahen sie mit der Zeit ein, wie befriedigend es ist, einen Sohn zu lieben, und liebten ihn dann auch, aber ich
glaube, zu Anfang liebten sie mich nicht. Ich wurde verhätschelt, das ist wahr, doch das Gefühl, geliebt zu werden, hatte ich nur bei meiner Nana.
Ich kam mir nun vor wie jemand, der sich eine Maske aufsetzte, um in dieser neuen Umgebung akzeptiert zu werden.
Es war mein Zuhause, das wohl, doch ein anderes, seit meine
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Nana nicht mehr hier lebte. Und dann begriff ich, daß ich
viele Dinge bekommen konnte, wenn ich so tat, als sei ich gut
und schwach. Das war meine Maske. Ich glaube, bis gestern
habe ich immer diese Maske getragen. Immer wollte ich
anders scheinen, als ich in Wirklichkeit bin. Und stets habe
ich mich gefragt, wie ich bin, habe an meinen Eigenschaften
gezweifelt. Und nun sehe ich, daß ich diese Maske immer
getragen habe und verstand, sie Menschen und Umständen
anzupassen. Das habe ich schon sehr früh gelernt, ein braver
Junge zu sein, denn sonst . . . Ah! Nun fällt es mir wieder
ein: einmal sagten sie, ich hätte die Milch einer huasa (unwissende Bäuerin) gesogen, deshalb sei ich so unmanierlich. Ich fühle mich geehrt, die Milch meiner Nana getrunken zu
haben. Es ist doch Milch, Milch, Milch, aus richtigen brüsti-
gen Brüsten. Von einem wirklich weiblichen Weib. Mit solchen Äußerungen wollten sie mich demütigen. Sie hielten ihren Jungen für ordinär, seine Neigungen für bäurisch, und
deshalb nörgelten sie immer an mir herum, damit man es
nicht merke. Allmählich gab ich wohl nach. Ein Kind ist
flexibel, sehr flexibel, ich merkte gar nicht, daß ich nachgab.
Jetzt verstehe ich, warum sie sich so viel Mühe machten, mich
auf all diese Schulen zu schicken. Diese waren wohl gut, doch
lediglich als Mittel zum sozialen Aufstieg gedacht. Sie wollten, daß ich mich schuldig fühlte, weil ich Bauernblut in mir hätte. Meine Nana so herabzusetzen! Das Blut der Besten
von allen!
Langsam brachten sie es fertig, daß ich Nana verriet. Und
dies ist mein größter Kummer: ich habe meine besten Gefühle verraten, ich suchte sie nicht mehr auf, ich erzählte ihr nicht, wie sehr ich sie liebte, ich hörte auf, sie zu lieben -
obwohl ich sie tief drinnen immer geliebt und ihr gegenüber
Dankbarkeit empfunden habe. Nur sie habe ich in meinem
Leben geliebt. Etwas auch meine Mutter, später, aber es war
nicht dasselbe. Und das, was so ausdrücklich mein war, habe
ich vergessen und verdrängt. Das ist die Wurzel meines Kummers: daß ich mir selbst untreu wurde. Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich werde sein, der ich bin, wer das auch immer sein
mag!«
Ich halte dieses Dokument insofern für bemerkenswert, als es
zusammenhängend ein paar Stunden beschreibt, die eine radikale Veränderung des seelischen Zustands eines Menschen herbeiführten. Es wird hier ein Prozeß deutlich und ein psycho50
therapeutisches Ziel, das zu erreichen normalerweise sehr viel
Zeit erfordert. Drogen können diesen Prozeß zwar beschleunigen. doch selbst mit Unterstützung von Drogen ist eine »Ein-Tages-Kur« dieses Ausmaßes die Ausnahme.
Viele waren überrascht über die Veränderung, die in Ausdruck
und Auftreten des Patienten vorsichgegangen war. Er trug
keine Brille mehr, es sei denn zum Lesen, er kleidete sich
weniger formell. Er hatte sich etwas von dem unter MDA-
Einwirkung
gesteigerten
lustvollen
Körperbewußtsein
bewahrt, und nicht nur seine Sehkraft schien sich verbessert zu
haben, sondern auch sein Gehör. Er fühlte sich sicherer im
Denken, da er nun Gewißheit über bestimmte Dinge besaß, was
sich auch arbeitsmäßig und beruflich bemerkbar machte. Er
fühlte sich von einer zuvor ungekannten Energie erfüllt,
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