Die Reise zum Ich
der
Intelligenz und Männlichkeit vor, ermutigte ihn und billigte
alles was er tat. Bei mir machte er das nie.
Da mein Bruder nicht mit mir spielen wollte und ich keine
Freunde hatte, verbrachte ich meine Zeit mit meinen Schwestern, vor allem mit der älteren, die ich sehr liebte und der ich sehr nahestehe. Durch diesen Umgang, glaube ich, nahm ich
etwas Mädchenhaftes an, dessentwegen mich mein Bruder
verhöhnte und das mir während der ersten Schuljahre Pro56
bleme bereitete.
Was meine Mutter betrifft, glaube ich, daß sie mich liebte,
doch zeigte sie es nie, im Gegensatz zu meinem Vater, der
seinen Gefühlen unmittelbareren Ausdruck gab als sie.«
Etwa eine Stunde nach Einnahme von 100 mg MDA (eine
geringe Dosis für diesen Patienten) meldete er ein gewisses
Schwindelgefühl; in der nächsten Viertelstunde geschah aber
nichts weiter. Nun aber bat ich ihn, mich anzublicken und mir zu
sagen, was immer er sehe. Sofort sagte er, daß ihn etwas in
meiner Art an seine Stiefmutter erinnerte. Ich forderte ihn auf,
so zu tun, als sei ich tatsächlich seine Stiefmutter. Würde er
unter Einwirkung der Droge seinen Empfindungen Luft machen? Welche Worte würde er der »Stiefmutter« zur Verdeutlichung ihrer Haltung in den Mund legen? »Du Suse!« habe sie immer gesagt. »Du Suse! Suse! Immer rennst du hinter deinem
Vater her, hängst an ihm wie ein kleines Mädchen.« Nun animierte ich ihn, ihr zu antworten, wie er es als kleiner Junge getan haben würde, wenn er es gewagt hätte. »Ich hasse dich!
Ich hasse dich!« kam es nun aus ihm heraus,
ln den folgenden fünf oder mehr Minuten sollte er nun von
einer Rolle zur anderen überwechseln und ein Zwiegespräch
mit seiner Stiefmutter führen, was weitere Gefühlserlebnisse
zutage förderte, Gefühle des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit, der Sehnsucht nach seinem Vater als dem einzigen Schutz vor ihren Attacken. An diesem Punkt begann dämmerhaft eine
Erinnerung aufzusteigen.
»Irgendwas war mit dem Gärtner - wir hatten einen Hausgärtner - und irgend etwas passierte mit ihm, ich weiß nur nicht mehr was - es war in der Garage, das weiß ich noch - ich
sehe mich auf seinem Schoß sitzen - das kann doch nicht
wahr sein?«
Dann sah er den Penis des Gärtners vor sich und daß er ihn in
den Mund nahm und fühlte, wie sein Gesicht plötzlich naß
wurde, und wie verblüfft er war. All das hatte etwas mit den
kleinen Bildern aus den Zigarettenpackungen zu tun, und ihm
fiel wieder ein, daß er sie vom Gärtner als Gegenleistung für
sexuelle Manipulationen geschenkt bekam. Diese Bilder wollte
er nicht für sich. . . . nein, für seine Schwester . . .ja, seiner
Schwester tat er es zu Gefallen, die diese Bildchen sammelte
. . . denn sie wetteiferte im Sammeln mit seinem älteren Bruder, erinnerte er sich, und sein Bruder . . . (und nun kommt das Wichtigste) . . . sein Bruder erwischte ihn! Er erinnerte
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sich, wie der in die Garage hineinblickte, und an seine Angst,
daß sein Bruder es seinen Eltern erzählen würde.
Zur Rekonstruktion dieser längst vergessenen Episode waren
fünf Stunden notwendig. Seine Einsichten und Erinnerungen
sind im wesentlichen in dem nachfolgenden, erst am Tag darauf
niedergeschriebenen Bericht zusammengefaßt:
»Als ich von meinem Bruder erwischt worden war, hatte ich
große Angst. Ich rannte zu meiner Schwester und erzählte
ihr, daß Fernando alles entdeckt hatte und daß er. der mich
nicht mochte, es meiner Mutter berichten würde. Meine
Schwester hatte große Angst vor meinem Vater und fürchtete, daß er sie schlagen würde, und bettelte, daß ich nicht sagen sollte, daß sie mich angestiftet hatte, sondern bekennen möge, ich hätte es getan, weil es mir Spaß machte. ›Bitte, du bist im Hause König, dich werden sie nicht schlagen, aber
mich.‹ Ich glaube, sie ist deshalb immer nett zu mir gewesen,
weil sie sich damit die Liebe meines Vaters erkaufen
wollte.
Als Fernando mich erwischt hatte, dachte er: ›Ha ha! Der
König des Hauses ist eine Suse! Ich bin der einzige Mann.‹
Meine Mutter war wütend. ›Du kriegst Haue! Warum tust du
so etwas!‹ ›Weil es mir Spaß macht.‹ ›Ah, das gefiel dir!‹ und
sie streute mir den Mund voll Pfeffer und sagte immer wieder: ›Es macht dir Spaß, es macht dir Spaß. Ich werde es deinem Papa sagen!‹ ›Aha, das gefiel dir!‹ Und dabei verknackste sie mir den Fuß.
Meine Schwester: ›Armes Kerlchen! Was haben sie dir meinetwegen angetan,
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