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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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ausreichend: Regressionssymptome während der Sitzung (Saugen, Gefühl des Schrumpfens) legen den Schluß nahe, daß der Patient im Unterbewußtsein durchaus mit den Episoden der Vergangenheit ins reine kommen wollte, was auch die Schulszene bestätigt, an
    die er sich nur teilweise erinnert. Dennoch dringt der Patient
    auch hier nur an die Grenze der Erinnerung vor. Emotionen,
    die er gehabt haben will, als man ihn in der Schule tyrannisierte (Weinen, Wut, Ohnmacht), sind die gleichen wie die 69

    im HPT an den Personen wahrgenommenen und abgelehnten.
    3. Einsicht nicht ausreichend: Den Drogenerlebnissen des Patienten ist zu entnehmen, daß er mit dem Gefühl aufwuchs, von niemandem geliebt zu werden, daß er den Vater vermißte, daß er mindestens einmal dauerhaften Schaden durch ungerechtfertigte Beschuldigung und Aggression davontrug.
    Hier zeigt er jedoch, daß er weitgehend allein mit der Sache
    fertig werden mußte und von Eltern oder Lehrern keine
    Hilfe erwartete. Auch hier wieder das gleiche Tableau der
    Angst- und Schmerzgefühle, die während der Sitzung kamen
    und gingen und am Tag darauf von ihm als seiner sonstigen
    Einstellung und Empfindung fremd erkannt wurden. Am
    gleichen Tag schien ihm die Erfahrung der Ohnmacht nur
    noch theoretischen Charakter zu haben, von dem Verhalten
    seiner Eltern, das Verlassenheitsgefühle in ihm wachrief,
    ganz zu schweigen.
    Alles in allem läßt sich sagen, daß die Droge MDA die Sicht auf
    ein Panorama eröffnete, das jedoch nicht ganz freigelegt werden konnte. Ich riet dem Patienten, eine wöchentliche Gruppentherapie zur Fortsetzung der Bewußtseinserweiterung und Vermehrung
    des
    Ausdrucksvermögens
    anzuschließen.
    Drei
    Wochen später nahm er an einer MDA-gesteuerten Gruppensitzung unter meiner Leitung teil, was ich hier zusammengefaßt wiedergeben will:
    Mein Patient hatte sich neben ein Mädchen gesetzt; er fragte
    sie, ob sie lieber allein sein wolle. Sie nickte bejahend, worauf er
    zu Boden stürzte und auf den kalten Fliesen liegen blieb. Die
    Kälte rief Wahrnehmungen bei ihm hervor, die ihm von früherem Kranksein vertraut waren: Kälte und Übelkeit, Verlassenheit und Hilflosigkeit sowie seine Unfähigkeit, jemanden um Hilfe zu bitten. Er sagte, es sei ihm nun klar, daß das Gefühl des
    Abgelehntwerdens in ihm Übelkeit, Kälte- und Einsamkeitsgefühl erzeugte. Dann erhob er sich, ging zu einer Liege am einen Ende des Raumes, legte sich lang nieder und gab sich mehr und
    mehr diesen Gefühlen hin. Er begann leise klagende Laute
    auszustoßen, die immer länger wurden bis sie in anhaltende
    Heultöne übergingen. Nach einer halben Stunde begann sich
    das Heulen zu artikulieren. Seine ersten Worte waren: »NEIN!
    NEIN! NEIN!«, dann einige Minuten darauf: »Nicht medioker! Nicht medioker!« Und dann begann er einem imaginierten Ankläger
    Beleidigungen
    entgegenzuschleudern:
    »Medioker!
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    Medioker!« und dann: »Verbrecher! Mörder!«, immer wieder.
    Er schlug mit den Fäusten auf das Bett, dann gegen die Wand.
    Im Verlauf dieses Prozesses wurde ihm klar, daß sein Vater das
    wirkliche Ziel seiner Zornesausbrüche war. Dann sprach er
    wieder von seinen Zähnen. »Sie fallen selbst aus! Mammi, sie
    gehen von alleine raus!« dazwischen »Nein! Nein! Vati! Vati!«
    Er rief seinen Vater zu Hilfe, weil seine Mutter ihm etwas
    aufzwingen wollte. Schließlich sagte er leise, immer wieder:
    »Ich habe gar keinen Vati, ich habe gar keine Mammi.«
    Dieser Zustand hielt etwa vier Stunden an, danach vergaß er
    ihn. Als die Anwesenden ihm mitteilten, was sie mitangehört
    hatten, vermochte er sich dann doch zu gewissem Grade zu
    erinnern, doch nicht an die vergangenen Situationen, die diese
    Reaktionen hervorgerufen hatten.
    Am nächsten Tag gab er schriftlich folgendes Resümee:
    »Ich glaube, das Schreien erfolgte aus mehreren Gründen
    zugleich; jedesmal fühlte ich mich in der gleichen Situation:
    Ich konnte nicht auf Geborgenheit und Liebe bei meinen
    Eltern rechnen: entweder sie verweigerten sie mir oder sie
    waren nicht anwesend, oder ich hatte das Gefühl, daß sie mir
    nicht nahe genug standen, um mir helfen zu können. Dies
    mag ich beim ersten Gang zum Zahnarzt empfunden haben,
    oder als die Kinder über mich herfielen oder bei einer Erkrankung, als ich mich elend und verlassen fühlte.«
    Ich kann hier nicht auf alle Drogenerfahrungen des Patienten in
    der Gruppe eingehen. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, daß
    er den ganzen Tag lang den

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