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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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bewirkt
    hatte. Dieser Patient wurde mir von einer Kollegin überwiesen,
    weil sie das Gefühl hatte, daß ein gewisser Mangel an emotionalem Kontakt im Therapeut-Patient-Verhältnis weitere Fortschritte unmöglich machte. Sie hoffte, daß eine Drogensitzung dazu beitragen könnte, den Patienten von seiner überintellek-tualisierten und normativen Einstellung abzubringen.
    Als ich ihn fragte, was er seinerseits von einer Fortsetzung der
    Therapie erwarte, antwortete er mir, es ginge ihm nun gar nicht
    mehr so sehr um das Stottern als vielmehr um andere Erscheinungen: Reizbarkeit gegenüber seiner Familie und vor allem um eine merkwürdige Lähmung des Tastgefühls: »Ich habe
    immer das Gefühl, daß ich beim Gehen den Boden nicht berühre, sondern darüber schwebe. Ich empfinde auch andere Berührungen nicht.« Bei unserem ersten Gespräch äußerte er
    sich wiederholt in indirekter Form (zum Beispiel »in meinen
    Armen ist ein Gefühl der Gespanntheit«), und als ich ihn darauf
    aufmerksam machte, erklärte er: »Genau das ist meine eigentliche Beschwerde. Ich möchte wieder in der ersten Person von mir sprechen können.«
    Einer von mehreren präliminarischen Tests, die ich an ihm
    vornahm, war der vom Verfasser entwickelte HPT (Human
    Preference Test), wobei der Versuchsperson eine Reihe von
    Porträtfotos vorgelegt werden. Sie wird aufgefordert, sich zu
    jedem Foto zu äußern, welches Gesicht sie anspreche und welches nicht, beziehungsweise ihr unsympathisch erscheine. Bemerkenswert an der Reaktion des Patienten war, daß er eine sehr große Zahl von Gesichtern ablehnte, und zwar weil er sie
    als kriminell empfand. Diese Reaktion brachte er mit einer
    anderen Erscheinung in Verbindung, nämlich dem Umstand,
    daß er in sich selbst unterbewußt einen Delinquenten sah, wie
    aus seinen Träumen hervorging, in denen er stets von der
    Polizei verfolgt wurde.
    Das augenfälligste Datum seiner Krankengeschichte war, seiner Erinnerung vor der Behandlung zufolge, der Tag im ersten Schuljahr, an dem sein Stottern begann und von dem er sonst
    nichts im Gedächtnis behalten hatte. Aus der Zeit vor dem
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    Schulanfang war ihm ebenfalls nur wenig in Erinnerung geblieben: Er wußte noch, daß seine Mutter in die Klinik mußte, um seinen jüngeren Bruder zur Welt zu bringen, daß er sich, für ein
    Sonnenbad nackt ausgezogen, vor dem neuen Dienstmädchen
    versteckte, daß seine Eltern mit ihm ein Geschenk kaufen
    gingen. An die nächste Schule erinnerte er sich lebhaft, weil ein
    blondes kleines Mädchen ihm einen Bleistift lieh. Er erzählte,
    daß er während seiner ganzen Kindheit die Gewohnheit gehabt
    habe, sich in seines Vater Wandschrank einzuschließen und
    insgeheim seine Wutanfälle abzureagieren und so lange zu weinen, bis er die Hitze nicht mehr ertragen konnte. Sein Verhältnis zu seinen Eltern bezeichnete er als normal, ohne besondere Vorkommnisse; er habe seiner Mutter bis zum zwölften, dreizehnten Lebensjahr alles erzählt, dann änderte sich sein Verhalten in dieser Hinsicht; seine Mutter beschwerte sich, daß er kein Vertrauen mehr zu ihr habe. Er war ein ziemlich guter
    Schüler, mied aber den Sport. Von seinem vierzehnten Lebensjahr an war er aktives Mitglied verschiedener katholischer Jugendverbände. Vor seiner Heirat hatte er zwei kurze Liebschaften gehabt, die eine mit sechzehn, die andere mit zwanzig.
    Seiner Frau war er auf der Universität begegnet; sie wurden
    Freunde, ein Verhältnis, das mehr als sechs Jahre bestehen
    blieb. Inzwischen waren sie vier Jahre verheiratet und hatten
    zwei Kinder, die er zärtlich liebte.
    Nach Einnahme von 150 mg MDA reagierte der Patient zunächst mit Angstzuständen; er wollte weinen, bekam sich dann aber in die Hand. Dann befiel ihn die Empfindung, als ob Arme
    und Brustkorb immer schmächtiger und dünner würden. »Hat
    dies etwas zu bedeuten?« »Ich vermute, daß ich ein Kind
    bin.«
    Etwa eine Stunde lang genoß er sichtlich die Musik - die ich
    während der Sitzung abspielte - und bewegte Arme und Beine
    in ihrem Rhythmus. »Herrlich - als ob ich nackt im Wind
    renne.«
    Von dieser Empfindung abgesehen, stand das meiste, was die
    sieben Stunden dauernde Sitzung erbrachte, mit dem Mund des
    Patienten im Zusammenhang. Zunächst hatte er das Gefühl,
    sein Kiefer sei erstarrt, und er versuchte, ihn mit den Händen
    auseinander zu bekommen. Fortwährend betastete er Backenknochen und Gesicht. Dann begann er Saugbewegungen mit dem Mund nachzuahmen, und als ich

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