Die Reise zum Ich
die
klare Feststellung, dann ihre Rationalisierung, eine die Mutter
entlastende Einschränkung, die eine Abwehr der für ihn unannehmbaren Gefühle beinhaltet: Er hätte es nicht ertragen können, wenn die Aussage des ersten Satzteils den Tatsachen entsprochen hätte. Dies war seine typische Haltung während des ganzen hier beschriebenen Prozesses. Unter MDA-Wirkung
konnte er Szenen sehr lebendig beschreiben, dann aber wurde
er unsicher, ob sie sich wirklich ereignet hatten.
»Das kann doch nicht wahr sein. Ist das tatsächlich geschehen? Nein. Nur in meiner Einbildung. Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern. Ich war noch zu jung, als daß ich
mich an etwas entsinnen könnte. Warum aber sehe ich es so
deutlich vor mir? Und alles erscheint mir so kohärent! Wenn
dies wahr ist. . . Ja, es muß wahr sein. Kann das stimmen?
Was meinen Sie, Herr Doktor, kann das stimmen?«
Zwischen den einzelnen Etappen schrittweisen Verstehens und
Rückerinnerns kam es immer wieder zu langen Sequenzen
dieser Art, und wie schon erwähnt, folgten auf die Behandlung
tagelange Selbstbefragungen.
Bald nach der Zusammenarbeit mit diesem Patienten reiste ich
für zwei Monate ins Ausland. Ich hatte erwartet, ihn nach
meiner Rückkehr wiederzusehen. Inzwischen jedoch war er zu
der Meinung gelangt, daß er über die Hilfe eines meiner Kollegen hinaus keiner weiteren Behandlung bedürfe; er wollte sich nun wieder seinen spirituellen Interessen widmen. Bei Gelegenheit traf ich ihn zufällig wieder, und aus der Qualität dieser Begegnungen gewann ich den Eindruck, daß der mit dem ersten
Gespräch
eingeleitete
Heilprozeß
nie
ganz
abgeschlossen
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wurde. Dennoch hatte die Behandlung Erfolg gehabt insofern,
als sie dem Patienten die ersehnte Befreiung von seinen Symptomen gebracht und sein Selbstvertrauen gestärkt hatte (was sich günstig auf sein Verhältnis zu anderen auswirkte).
Das Widerstreben des Patienten, die Wahrheit der unter Drogeneinfluß erinnerten Vorgänge zu akzeptieren, ist eine häufig im Anschluß an eine therapeutische Sitzung zu beobachtende
Reaktion. Vermutlich können verdrängte Erinnerungen nur
dann akzeptiert werden, wenn sie mit einem Verhaltens- und
Einstellungswandel
einhergehen
und
somit
das
seelische
»Gleichgewicht« des Patienten nicht mehr gefährden. In Wahrheit liegt in der mehr oder weniger offenen Furcht vor dem Wandel, die den Patienten zu seiner Abwehrhaltung veranlaßt,
das stillschweigende Eingeständnis der Labilität seines derzeitigen Zustands. So wie die Furcht vor dem Abgrund den unbewußten Wunsch sich hinabzustürzen verrät, so verrät auch die Furcht vor der Erinnerung den Wunsch, sich in die Wahrheit zu
stürzen, den verborgenen Wunsch, sie zu sehen.
Vermutlich kann man mit MDA einen Zustand herbeiführen,
der nichts Bedrohliches hat, in dem der Mensch seine Erfahrungen bedingungslos zu akzeptieren vermag, denn seine Sicherheit kommt ihm aus Bereichen jenseits seines Selbstbildes zu.
Ist diese Phase vorüber, kann die ihr entnommene Information,
wenn sie ins Bewußtsein getreten ist, mit den derzeitigen Ansichten des Patienten in krassem Widerspruch stehen, beziehungsweise Reaktionen auslösen (die Verurteilung eines Elternteils), die er sich am liebsten verwehren möchte. Sie können Angst und Entsetzen über das Erinnerte hervorrufen oder gar
Amnesie in betreff des gesamten Komplexes. Zur Herbeiführung des entscheidenden Wandels bedarf es bisweilen einiger Zeit, bis es gelingt, die Kluft zwischen Reaktion und Persönlichkeitsstruktur des Patienten zu überbrücken, was bei unserem ersten hier geschilderten Fall mit MDA innerhalb von vierundzwanzig Stunden geschah. Wird der neuartige Erfahrungsinhalt (der entscheidende Vorfall) im Lauf der therapeutischen Sitzung unter Drogenwirkung nicht restlos assimiliert, kann sich der Prozeß noch über den nächsten Tag oder Monat
hinziehen oder in einer anschließenden Sitzung mit Droge erneut in Gang gebracht werden.
Der nächste Fall wird uns Einblick in die Funktionen einer
Reihe von Abwehrreaktionen vermitteln, die der Patient im
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Lauf der Behandlungen und Gespräche eine nach der anderen
abbaute, sobald er in der Lage war, die gewonnenen Erkenntnisse seinem Wachbewußtsein besser zu integrieren. Diesmal handelte es sich um einen dreißigjährigen Stotterer, der bereits
seit zwei Jahren in psychotherapeutischer Behandlung gewesen
war, die eine beträchtliche Besserung dieses Symptoms
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