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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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Frau zu sein
    hieß im Prinzip, mehr Gefühl und Sensibilität zu besitzen - wie
    seine Mutter. Nichtsdestotrotz hatte er sich bei irgendeiner
    Gelegenheit
    in
    seinem
    Leben
    gesagt:
    »Männer
    weinen
    nicht.«
    Dieser Ausspruch tauchte wiederholt wieder unter MDA-Wir-
    kung auf. Danach hatte ihn irgend jemand betäubt. Auch diesmal ging dieser Gefühlszustand in vorübergehende Indifferenz und Inkohärenz über. »Es hatte den Gewinn, daß ich mich als
    Karikatur sah«, sagte er später. »Was ich zu gewissem Grade
    auch immer sein mag, damals war ich es im Extrem.« Schwer zu
    sagen, was in seinem Unterbewußtsein vor sich ging, als er sich
    für eine Frau hielt und indifferent und zerstreut reagierte. Doch
    nach dieser Sitzung hatte der Patient zum ersten Mal das Gefühl, einen entscheidenden Schritt zur seelischen Gesundung getan zu haben. Bei einem nochmaligen flüchtigen Anfall von
    Angst wurde ihm klar, daß er vor der psychotherapeutischen
    Behandlung sein ganzes Leben in diesem Zustand verbracht
    hatte, an den er sich seit ein paar Monaten nicht einmal mehr
    erinnerte.
    Darüber hinaus schien es ihm, als habe sich die ganze Welt
    verändert, obwohl er der Gleiche geblieben war. Befragt, in
    welcher Weise sie sich verändert habe, sagte er, es sei nicht
    leicht in Worte zu fassen, es sei so etwas wie ein »Mit-den-
    anderen-verbunden-Sein«.
    »Ich brauche andere nicht mehr zu prüfen, denn ich bin nicht
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    mehr abhängig davon, ob sie mich ablehnen oder annehmen.
    Und ich meinerseits vermag sie anzunehmen, unabhängig
    davon, ob sie mich annehmen oder nicht. Tun sie es, dann ist
    es gut, wenn nicht, wirklich schade. Ich brauche nun keine
    Energie mehr auf eine Art Geheimdiensttätigkeit zu verschwenden um festzustellen, was ich anderen bedeute«.
    Zudem hatte sich seiner Schätzung nach seine Leistungsfähigkeit verzehnfacht.
    Einige Monate waren seit Beginn seiner Behandlung vergangen, als er mir kurz vor meiner Abreise einen Brief schrieb, der mit folgenden Überlegungen schloß:
    »Was ist in der letzten Sitzung geschehen, was hat die Kristallisierung dieser hauchdünnen Schicht geistiger Gesundheit bewirkt, in der ich nichtsdestoweniger einen Dauerzustand
    sehe? Ich möchte sagen ›Nichts, ... es war ganz einfach.
    Während ich da war, verblaßte eine Welt, und eine andere
    trat an ihre Stelle«.
    Einiges ist mir deutlich. Im ersten Stadium der Sitzung lebte
    ich im Schrank, in meiner Hölle. Blicke ich zurück, war das
    Unangenehmste das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden; bei
    genauerer Betrachtung indes war es noch nicht so schlimm.
    Die Hölle war nichts anderes als die Freisetzung von Gefühlen, und viele davon waren sogar ganz angenehm. Im zweiten Stadium sah ich mich selbst, so wie ich seit Jahren gewesen
    war: unfähig zu lieben.«
    Meinem Bericht über MDA-Therapie läßt sich entnehmen, daß
    diese Substanz sowohl eine vorübergehende Hypermnesie als
    auch die Gegenkräfte einer Abwehrreaktion angesichts von
    Selbsterkenntnissen hervorrufen kann, die der Patient nicht
    hinzunehmen vermag.
    In diesem Wechselspiel zwischen qualvoller Erinnerung und
    Vergessenheit
    oder
    Gedächtnistrübung,
    zwischen
    Wahrnehmung der Realitäten und dem Wunsch, ihnen nicht ins Gesicht
    zu sehen, besteht die spezielle Hölle, das klärende Fegefeuer
    des MDA. Sie ist ein Gegenstück zu den bekannteren Meskalin- und Harmin-Höllen. Doch wäre das Bild der MDA-Wirkung nicht vollständig, wollte man nicht auch einen Blick in ihre
    speziellen Paradiese werfen.
    Wir werden sehen, daß bei vielen Drogen die visionäre Erfahrung, wenn erreicht, auf typische Weise erlebt wird. Bei LSD
    zum Beispiel bewegt sie sich im Bereich des Transzendenten
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    und Heiligen, bei Meskalin im Bereich des Schönen, bei Harmin im Bereich der Macht und der Freiheit, bei MMDA hingegen im Bereich liebender Verklärung. Man wird nun fragen, ob es auch eine für MDA typische positive Erfahrung gibt und wie
    diese beschaffen ist.
    überblicke ich die etwa dreißig drogengesteuerten therapeutischen Sitzungen, stelle ich fest, daß diejenigen, in denen ein Gefühl des Ganzseins, der Tiefe und Integration erreicht
    wurde, ein Charakteristikum gemeinsam haben: Ich möchte es
    ein gesteigertes Erleben der Ich-heit nennen.
    Ebenso wie der psychiatrische Terminus »Depersonalisation«
    oft auf den von Meskalin oder LSD hervorgerufenen Geisteszustand angewandt worden ist, könnte man bei MDA umgekehrt von einem Zustand der »Personalisation«

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