Die Reise zum Ich
ihre
Spontanhandlungen gut seien doch sind sie nur noch ein
Schatten im Vergleich zu ihrer früheren verdrängten Feindse174
ligkeit und ihrem Schuldgefühl. Eine weitere Besserung trat
ein, als sie realisierte, daß ihre Unfähigkeit, ihrem Zorn Ausdruck zu geben, auf die Idealisierung ihres Selbstbildes als eines
»guten«, liebevollen Menschen zurückzuführen war, und daß
sie sich zum Sklaven dieses Selbstbilds gemacht hatte, anstatt zu
wagen, sie selbst zu sein, ganz gleich innerhalb welcher Grenzen. Der Heilungsprozeß war nicht vollständig, doch ist ihr Wesen jetzt dem jenes Tigers weit ähnlicher, der sie auf ihrer
Harmalin-Reise spontan und energisch, anmutig und um die
Geheimnisse des Lebens wissend geführt hatte. An ihrer Entwicklung läßt sich die Spanne, und damit die Anstrengung ablesen, die von der Erscheinung des jagdlichen Archetypus im
Wachtraum bis zu seiner Verkörperung, von der als Projektion
einer Traumsequenz begriffenen Schönheit und Harmonie bis
zu deren Verwirklichung im Alltagsleben zu überwinden sein
kann. Von einem zum anderen gelangt man allein durch gründliche Verarbeitung. Denn soll der mit Harmalin erschaute
»Himmel« ins Irdische transponiert werden, muß sich die jeweils abstrakte, im Symbolbereich gewonnene Einsicht im täglichen Handeln niederschlagen.
Das Panorama der Sitzungsprotokolle dürfte einen Eindruck
von dem spezifischen Erfahrungsbereich vermittelt haben, den
das Harmalin zu erschließen vermag. Freilich ist es allein mit
der archetypischen Schau noch nicht getan, da sie nicht die
Gesamtskala
der
Harmalinreaktionen
wiedergibt.
Manche
können, wie aus den gegebenen Beispielen hervorgeht, auf eine
ganz »individuelle« Weise auf Harmalin reagieren. Doch haben
solche individuellen Reaktionen in Gestalt von Reminiszenzen,
Traumgesichtern oder Erleuchtungen mit der »mythischen«
Harmalin-Erfahrung eines gemein: Beide wurzeln im Triebleben. Am häufigsten tauchen in den Harmalin-Visionen Tiger und Neger auf, die sowohl in ihrer aggressiven als auch in ihrer
sexuellen Bedeutung vornehmlich die triebhafte, elementare,
naturverbundene Ebene der menschlichen Existenz symbolisieren. Bei der mythischen Vision »fließen« die Triebkräfte im Einklang mit dem kosmischen Plan - wie man es ausdrücken
könnte. Demzufolge sehen die Betreffenden ein schönes Bild,
in dem ein jedes Element seinen Platz im Ganzen findet, das
durch Konflikt und Zerstörung nur reicher wird.
Bei den nicht-mythischen Visionen scheinen Aggression und
Sexus ebenso fragwürdig wie zerstörerisch aufzutreten, und
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begreiflicherweise ist dies um so mehr der Fall, je mehr das
Individuum sich selbst und sein persönliches Leben auf der
Szene seiner Visionen in den Vordergrund rückt. Nur ein
Mensch, der frei ist von Furcht und Schuldgefühl, wird sein
eigenes Leben und seine Lebensumstände im Glanz von Mythos oder Märchen sehen, der jedem Gegenstand eine verborgene Bedeutung verleiht und sich wie ein Juwel offenbart. Hier kann der abstrakte Mythos eines entrückten Heroen als eine
Art Landkarte dienen; oder als Medium zur Vermittlung einer
gewissen Einstellung, die in die Kontemplation aller Vorgänge
mit eingebracht werden kann. Es erübrigt sich, in diesem Zusammenhang zu vermerken, daß keiner der in diesem Kapitel erwähnten Patienten dieses Ziel schon erreicht hatte.
So nützlich das reine Harmalin für die Psychotherapie sein
kann, möchte ich doch dieses Kapitel nicht schließen, ohne
noch einmal hervorzuheben, daß manche Menschen für seine
psychologischen Wirkungen weitgehend unempfänglich sind.
Wie erwähnt, verspüren manche lediglich eine körperliche Reaktion auf die Droge - ein gewisses Unwohlsein, Schläfrigkeit oder Übelkeit bis hin zum Erbrechen, die höchstwahrscheinlich
aus einer Reaktionskonversion resultieren.
Zu Beginn unserer Versuche mit Harmalin gewannen wir den
Eindruck, daß diese »nicht-gemäßen« Reaktionen (keine psychischen Wirkungen und Auftreten physischer Beschwerden) am häufigsten bei solchen Individuen auftraten, die sich bei der
Offenlegung ihrer animalischen Daseinsebene, die der Wirkung des Harmalin eigentümlich ist, unangenehm berührt oder gar elend fühlten. Wenn es stimmt, daß eine dürftige oder gar
unangenehme Reaktion die Folge des unbewußten verzweifelten Versuchs ist, gerade das zu unterbinden, was durch das Harmalin erreicht werden soll, dann wäre es denkbar, daß man
mit einer anderen
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