Die Reise zum Ich
später, wenn man weiß, daß der Betreffende mit Erbrechen reagiert.
Eine bequeme Couch oder ein Bett sind als Rahmen für die
Behandlung unentbehrlich, denn die Mehrzahl der Patienten
möchte während der ersten Stunden oder gar die längste Zeit
der Sitzung liegen, weil ihnen übel wird, wenn sie auf sind oder
sich bewegen. Andere hingegen empfinden irgendwann in der
Sitzung das Verlangen, sich zu bewegen oder gar zu tanzen (35
Prozent nach meinen Data), und dies kann sich als signifikanter
Aspekt ihrer Erfahrung erweisen - worauf ich später eingehen
werde. Aus diesem Grunde ist es wünschenswert, daß ein gewisses Maß an Raum zur Verfügung steht.
Dringt man in den subjektiven Bereich vor, entdeckt man
einige Ähnlichkeiten zwischen den jeweils mit Ibogain und
Harmalin hervorgerufenen Erfahrungsinhalten, obgleich andererseits auch gerade hier das Spezifische einer jeden Erfahrung 180
am deutlichsten in Erscheinung tritt. Allgemein läßt sich sagen,
daß in den von beiden erzeugten Wachträumen archetypische
Inhalte und Tiere am häufigsten Vorkommen, während die
Handlungsvorgänge sich oft durch zerstörerische oder sexuelle
Elemente kennzeichnen.
Trotz der Ähnlichkeit der Wirkung von Ibogain und Harmalin
gibt es bei der ersteren gewisse Besonderheiten, die ihr in der
Psychotherapie einen eigenen Platz einräumen. Ibogain ruft
weniger visuell-symbolische Erfahrungen hervor als Harmalin.
Bei keiner anderen Droge habe ich so häufig Wutausbrüche
erlebt, wie unter der Wirkung von Ibogain. Auch bei Harmalin-
Erfahrungen ist Aggression ein häufiges Thema, doch dort
findet sie nur in visuellen Symbolen Ausdruck. TMA, das angeblich Feindseligkeit auslöst, kennzeichnet sich nach meiner Erfahrung eher durch einen wahnhaften Zustand, wobei sich
die Feindseligkeit mehr in paranoidem Denken als in tatsächlichen Empfindungen äußert. Bei Ibogain wird der Zorn nicht auf die gegenwärtige Situation des Patienten projiziert (übertragen im psychoanalytischen Sinn, würde ich sagen), vielmehr auf Personen oder Situationen der Vergangenheit, und zwar auf
die Person, durch den er ursprünglich erregt wurde. Dies steht
im Einklang mit der allgemeinen Tendenz des unter Ibogain
stehenden Änalysanden, sich in Reminiszenzen und Fantasien
seiner Kinderzeit zu ergehen.
Das häufige Auftreten von Tieren, Primitiven, sexuellen Themen und Aggression in der Ibogain- und Harmalin-Erfahrung dürfte zu dem Schluß berechtigen, daß diese Drogen speziell
die triebhafte Seite der Psyche angehen. Daß hier hauptsächlich
das »Tier im Menschen« angesprochen wird, steht in krassem
Gegensatz zu der Wirkung der luftigen oder ätherischen »Psy-
chedelica«, die den Analysanden mit dem »Gott im Menschen«
oder den »Teufel im Menschen« in Berührung bringt, desgleichen zu den ganz auf das Innenleben gerichteten Drogen wie MDA und MMDA, die den Analysanden dazu bewegen, sich
auf sein individuelles Sein und auf seine Beziehungen zu seinem
Mitmenschen zu konzentrieren.
Von qualitativen Unterschieden der Ibogain-Erfahrung abgesehen, gibt es auch inhaltliche: Ihr Inhalt ist weniger rein archetypischer Natur, sondern spielt sich mehr in der Kindheit der betreffenden Person ab, wobei gewisse Themen für den durch
das Alkaloid ausgelösten inneren Zustand typisch zu sein scheinen, vor allem Symbolbilder wie Brunnen, Röhren und Sumpf181
tiere. Der Leser wird sich von dieser Besonderheit anhand der
Fallbeispiele auf den folgenden Seiten selbst ein Bild machen.
Das erste Fallbeispiel, das ich hier vorlege, beschränkt sich auf
die Beschreibung einer Sitzung. Die Vielfalt der auftauchenden
Episoden kann als gedrängtes Panorama der möglichen Wirkungsarten
betrachtet
werden
und
der
Erörterung
ihrer
Zweckmäßigkeit für die Psychotherapie dienen.
Es handelt sich um den Fall eines jungen Arztes, der selbst
Psychiater werden wollte. Sein Interesse an einer therapeutischen Begegnung mit der Droge war auf das Empfinden zurückzuführen, daß es ihm an echtem Kontakt mit seinen Mitmenschen mangele und er an seinem Liebesieben, seiner Arbeit oder seinem Tun im allgemeinen innerlich nicht recht beteiligt
sei. »Ich habe das Gefühl, daß ich vieles nur automatisch tue,
und daß was ich tue, keinen Wert hat«, sagte er. »Der Kontakt
mit anderen müßte von Wesensmitte zu Wesensmitte bestehen.«
Um sich für die Ibogain-Sitzung vorzubereiten, hatte er an
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