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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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Tod
    fanden, die ihr Leben nicht zu Ende leben konnten. Ich
    glaube, ich sehe jetzt klarer. Ich mußte den Tod als solchen
    gutheißen und nicht nur den Tod derer, die im Krieg fielen.
    Und ich meine, wenn ich den Tod rechtfertigen wollte, müßte
    ich letztlich auch die Absurdität eines begrenzten, endlichen
    Lebens, zu dem auch das Sterben gehört, bejahen.
    Ich versuche nun, mir meine Gedanken nach der zweiten
    Harmalin-Erfahrung in Erinnerung zu rufen. Der einzige
    Tod, der einer Rechtfertigung bedurfte, war der Tod Christi.
    Jeder von uns ist für die Rechtfertigung seines Sterbens
    mitverantwortlich, damit es nicht vergebens geschah. Das
    heißt, daß Gott seinen Sohn opferte, ist an sich nicht zu
    rechtfertigen. Jeder von uns kann Christus noch einmal umbringen oder ihn wieder auferstehen lassen. Daher die Kommunion. Sie ist ein bewußter freiwilliger Akt der Bereitschaft, Christi Tod einen Sinn zu geben: durch tiefe Ehrfurcht und Liebe für alles Lebende, denn in jeder Kreatur ist etwas vom Wesen Gottes. Dies ist ein Weg zur Teilhabe an
    der Harmonie des Universums. Ebenso ist es ein Weg, Christus in den Tiefen unseres eigenen Wesens wieder auferstehen zu lassen. Doch meine Sehnsucht nach Heiliger Kommunion hatte noch eine menschliche Seite. Es war die Sehnsucht, brüderlich mit anderen Wesen verbunden zu sein, die 169

    sich zur gleichen Liebe zu Christus bekannten. Dies warein
    Weg, sich weniger allein zu fühlen und ohne Individualitätsverlust einer Gruppe anzugehören.«
    Aus diesen Zeilen ist zu ersehen, daß nach der zweiten Drogen-
    Erfahrung das Grundanliegen unserer Patientin darin bestand,
    die Unvermeidlichkeit ihres eigenen Todes hinnehmen zu lernen. Einmal war sie im Begriff gewesen, ihn zu akzeptieren: Als sie sich als sinnliche Frau sah, die im roten Kleid über die
    gefährliche Kreuzung tanzte. Der Tod »kümmert sie nicht« und
    läßt sie ihren eigenen Tod hinnehmen, weil »die Dinge nun
    einmal so sind«. Sie widersetzt sich dem Tod ebensowenig, wie
    sie sich dem Leben widersetzt, sie ist betont erotisch und genießt jede Bewegung beim Tanz. Indem sie sich weder Leben noch Tod widersetzt, indem sie es hinnimmt, daß es sie gibt,
    jenseits von Gut und Böse, transzendiert sie Leben und Tod.
    Indem sie dies akzeptiert, verleiht sie ihm körperlich Ausdruck,
    da der Tanz Ausdruck ihrer inneren Musik ist. Dennoch bleibt
    sie, von diesem Augenblick abgesehen, weiterhin Kampfplatz
    von Eros und Thanatos. Ihr Todeswunsch ist die Antwort auf
    den Anspruch eines Gottes, der Sex für etwas Böses hält, jener
    rachsüchtige, blutdürstige Gott der süditalienischen Prozessionen, den sie in ihrem Innern begraben hatte und in den Kirchen vermied. Dennoch verlangt ihr nach ihm, und so muß sie seine
    Verurteilung durchleiden: »Ich brauche Gott und bin doch
    ganz und gar Sex.« Nach dieser Sitzung litt sie nicht nur unter
    Schuldgefühlen, sie wurde frigide und gelegentlich beim Geschlechtsverkehr von den gleichen Ängsten befallen, an denen sie auch auf der Straße litt.
    In den folgenden Monaten wurde das Traumleben der Patientin
    sehr viel reicher, und in ihren Träumen tauchten die gleichen
    Symbole auf, die sie zuvor unter Harmalin oder deren Äquivalenten kontempliert hatte. In einem ihrer Träume wiederholten sich die Elemente Tanz, Dunkelhäutigkeit und jene Spaltung
    der Persönlichkeit, die schon in beiden Sitzungen vorgekommen waren: Widerspiegelungen ihrer gegenwärtigen sexuellen Schuldgefühle: »Ich war zwei Personen zugleich. Die eine war
    nackt, eine tanzende Negerin, die andere sah ihr entsetzt zu.«
    Im nächsten Traum verbinden sich sexuelle Impulse mit dem
    Tigersymbol: »Ich lag an einem Swimmingpool und ließ mich
    von der Sonne bräunen. Da tauchte mein Freund Alfred auf.
    Dann sah ich mich von einer Art Tigerfell bedeckt. Darunter
    trug ich einen Bikini. Er nahm die Decke auf. Ich aber sagte:
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    »Nein, deck mich zu.« »Warum denn?« »Weil ich so nackter
    aussehe.«
    Auch das freie Assoziieren der Patientin durchlief in dieser
    Periode einen sichtlichen Wandel. Sexuelle Themen spielten
    nicht nur in ihren Gedanken und Träumen eine größere Rolle,
    sie stiegen sogar in ihren Erinnerungen an die Oberfläche, und
    zum ersten Mal wurde ihr bewußt, daß ihre Beziehung zu ihrem
    Vater eine sexuelle Komponente gehabt hatte. Darauf wies die
    Szene bei ihrer ersten Harmalin-Sitzung hin, als sie ihren Vater
    auf den Mund küßte; magnetisch beschwor dies

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