Die Reisen des Paulus
Stäm-me, die den Brauch noch heute üben, und trifft höchstwahrscheinlich auch für Altägypten zu …«
Die Zeremonie ist eindeutig in einem Tempel zu Kar-
nak abgebildet, und die meisten männlichen Mumien, die man untersucht hat, waren beschnitten. Da der Ritus spä-
ter bei Paulus’ Kampf mit dem orthodoxen Judentum eine so bedeutende Rolle spielte, müssen wir uns mit der Frage befassen, ob der Beschneidung auch andere als rituelle Be-deutungen zukamen. Betrachtet man die primitive Natur der Völker, bei denen sie verbreitet war und ist, so scheint es 78
zweifelhaft, ob hygienische Gründe dabei mitspielten. Die Beschneidung diente wohl eher als eine Art von »Tätowie-rung«, als Zeichen der Stammeszugehörigkeit und Legiti-mation dafür, daß der Beschnittene an den religiösen Riten teilnehmen durfte. Bei Hesekiel findet man beispielsweise erwähnt, daß ein Mann, der stirbt, ohne beschnitten worden zu sein, nicht »zu den Vätern versammelt« wird, die ihrerseits das Zeichen der Initiation tragen. An dieser Stelle wollen wir festhalten, daß neben den Ägyptern auch die Nach-barstämme Israels die Beschneidung praktizierten, darunter die Edomiter, die Moabiter und die Ammoniter. Laut Herodot waren die Phönizier und die in Palästina lebenden Syrer ebenfalls beschnitten. Und aus den Schriften der voris-lamischen Dichter geht hervor, daß auch die alten Araber beschnitten waren. Bemerkenswerterweise wird nur ein einziges Volk, mit dem die Israeliten in unmittelbaren Kontakt kamen, ausdrücklich als unbeschnitten bezeichnet : die Phi-lister. Dieses Attribut, das ihnen verächtlich beigelegt wurde, reicht aus, sie auch dann zu identifizieren, wenn ihr eigentlicher Name nicht genannt wird. Dagegen werden zum Beispiel die Kanaaniter nie als Unbeschnittene bezeichnet, und daher muß man vermuten, daß sie dasselbe Ritual vollzogen wie die Hebräer. Professor S. M. Zarb hat auf die interessante Tatsache hingewiesen, daß unser Wort Circumcision, vom lateinischen circumcisio stammend, zur Bezeichnung der chirurgischen Operation verwendet wird, während es
»in den semitischen Sprachen die eigentliche Bedeutung des Ritus ausdrückt. Seine Wurzel ist hatan, wovon sich auch die Wörter Bräutigam, Schwiegersohn, Schwiegervater, ja sogar Ehering ableiten, der laut einigen Autoren nichts an-79
deres war als die Vorhaut, die in Form eines Ringes um den Finger getragen und später durch einen Ring aus Metall ersetzt wurde.«
Die Beschneidung gewann für die Juden eine solche
Wichtigkeit wohl deshalb, weil die Völker, unter deren Herrschaft Israel nach dem Auszug aus Ägypten lebte, die Babylonier und Perser, sie nicht praktizierten. In dieser Zeit erhielt die Beschneidung ihre religiöse Bedeutung. Sie war das Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem auserwählten Volk, das sich dadurch von seinen Unterdrückern abhob. Später, als sie den Griechen und dann den Römern unterworfen waren – die für dieses Ritual nur Hohn und Spott übrig hatten –, klammerten sich die Juden noch stärker daran, daß dies das Merkmal sei, das sie von den fremden Herrschern unterscheide. Der Streit, der zwischen Paulus und den Orthodoxen entbrannte, muß im Licht der jüdischen Geschichte gesehen werden. Paulus betonte, die
»wahre Beschneidung« sei eine Sache des Herzens, Bekehrte, die nicht dieses jüdische Kastenzeichen trügen, könnten ebenfalls in den Neuen Bund aufgenommen werden.
Doch das jüdische Volk und die jüdische Religion wiesen noch mehr Züge auf, die die meisten Heiden irritierten.
Schlimm genug, daß die Juden die Nichtjuden so offensichtlich verachteten und es sogar schwierig fanden, Konvertiten zu akzeptieren. Was gänzlich absurd schien, waren ihre komplizierten rituellen Diätvorschriften. Zum Beispiel verschmähten sie eines der besten Fleischgerichte, das es in einer Welt gab, wo Fleisch Luxus war. Was war verkehrt mit dem »Anderen«, wie die Juden das Schweinefleisch nannten? Und die Weigerung, den Statuen des Kaisers die ge-80
bührende Ehre zu erweisen – was ja nicht einmal hieß, daß man die Oberhoheit Roms anerkannte! –, kam anderen Nationen nicht nur unhöflich, sondern einfach töricht vor. Schließlich standen die Juden, wie sie auch, unter römischer Herrschaft. Es schien, als seien sie stolz, hochmütig und halsstarrig, ein Volk mit merkwürdigen Gesetzen und tiefernstem Betragen, das das Leben nicht schätzte. Und das Leben war doch kurz! Warum sollte der Mensch in dieser
Weitere Kostenlose Bücher