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Die Reiter der Sarmaten

Die Reiter der Sarmaten

Titel: Die Reiter der Sarmaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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breitete sich ein fahles, wässeriges Licht aus. Erstaunt sahen wir, wie sich die endlos weite graue Ebene plötzlich in eine tiefblaue Wasserfläche verwandelte. Wir hatten noch nie das Meer gesehen. Wir hielten an und starrten. Die Sonne schimmerte auf den Wellen; so weit unsere Augen sehen konnten, nichts als Wasser. Kein Schatten von Land verdunkelte auch nur die äußerste Grenze des Horizonts.
    »Es ist das Ende der Welt!« flüsterte Arshak nach einer Weile.
    Gatalas stieß einen langen Schrei des Entsetzens aus und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Der Schrei übertönte das Getrappel der Pferde und das Rumpeln der Wagen vor und hinter uns, und als er verstummte, war vollkommene Stille. Dann lief ein Rascheln durch die Reihen, ein wisperndes »Was ist?«
    »Das Meer, wir haben das Meer erreicht«, raunte es zurück. Ein paar Dutzend Reiter trabten vor, verließen die Straße und schwärmten über den Hang aus. Dann war wieder Stille.
    Marcus Flavius Facilis, der ranghöchste Zenturio, dessen Kommando wir unterstanden, kam von einer Besprechung mit seinen Unterführern nach vorn galoppiert. Er war ein untersetzter, stiernackiger Mann, weißhaarig; wenn er verärgert war, wurde sein Gesicht puterrot. Jetzt fing es gerade an, sich zu verfärben. »Was ist nun schon wieder mit euch Bastarden los?« fragte er wütend. Er sprach zu uns immer lateinisch, obwohl nur wenige der Offiziere und noch wenigere von den Mannschaften ihn verstanden. Während des langen Marsches hatte er sich nicht einmal die Mühe gemacht, genügend Sarmatisch zu lernen, um uns Befehle geben zu können, die alle verstanden.
    Arshak, der die lateinische Sprache beherrschte, zeigte auf das Meer. Gatalas sah den Zenturio nicht an; er saß, sich vor und zurück wiegend, im Sattel, die Hände vor den Augen.
    Facilis warf nur einen kurzen Blick auf das Meer. Seine Augen glitten gleichgültig über diese schimmernde Vision von Blau und Silber hinweg und hefteten sich statt dessen auf die Stadt, die unten am Rande des Hügels in der Ebene lag; offenbar sah dieses Gemisch aus roten Ziegelsteinen und grauem Stroh für ihn sehr einladend aus. Er lehnte sich mit einem zufriedenen Brummen im Sattel zurück. »Bononia!« sagte er, seine Stimme klang fast fröhlich. »Bononia. Endlich! Da werden wir heute nacht bleiben. Und morgen bin ich diesen ganzen stinkenden Haufen Barbaren endgültig los. Vorwärts, ihr Bastarde, beeilt euch. Heute nacht werdet ihr in trockenen Betten schlafen.«
    »Und morgen?« fragte Arshak ruhig. »Wo werden wir morgen schlafen?«
    »Das hängt davon ab, wie lange es dauern wird, euch einzuschiffen«, antwortete Facilis. »Ich schätze, es wird ein paar Tage dauern, bis man euch alle hinüberbefördert hat.«
    »Man hat uns gesagt, es gäbe eine Insel«, sagte Arshak, immer noch mit sehr ruhiger Stimme. »Man hat uns gesagt, wir würden auf eine Insel geschickt, die Britannien heißt; dort würden wir unsere Waffen zurückbekommen und als Soldaten des Römischen Reiches anerkannt werden; man würde uns ehrenvolle Aufgaben zuweisen und uns für unseren Dienst entlohnen. Das hat der Kaiser selbst uns in Aqumcum feierlich geschworen.«
    »Stimmt«, sagte Facilis knapp. »Und je eher ihr diesen Hügel hinabreitet …«
    »Es gibt keine Insel«, unterbrach ihn Arshak.
    »Da soll mich doch der Schlag treffen«, sagte Facilis, dessen Gesicht erneut rot anlief. »Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?«
    Gatalas nahm die Hände vom Gesicht. »Da ist nichts!« schrie er. »Nichts! Nichts als Meer!« Er wandte den Kopf ab, um die schreckliche Unermeßlichkeit des Ozeans nicht zu sehen.
    »Ihr verdammten sturen Barbaren!« rief Facilis aufgebracht. »Ihr stinkenden Idioten! Natürlich gibt es eine Insel. Sie liegt dort drüben« – er zeigte mit der Hand auf das Meer –, »ungefähr dreißig Meilen weg.«
    Arshak schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Nein. Ihr belügt uns, Römer. Ihr belügt uns alle miteinander. Ihr, der Kaiser, ihr alle. Ihr lügt. Es gibt dort keine Insel.«
    Facilis’ Gesicht wurde immer röter. »Ihr stupiden Bastarde! Bei allen Göttern über der Erde und unter ihr. Warum sollte ich wohl einen Haufen verrückter Sarmaten den ganzen Weg von Aquincum bis Bononia bringen, wenn es nichts gäbe, wohin man euch weiterschicken könnte? Oder glaubt ihr, die Gesellschaft von euch dreckigen Barbaren machte mir solchen Spaß, daß ich ohne Grund mit euch in der Weltgeschichte herumziehe?«
    »Ihr würdet es tun,

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