Die Rekonstruktion des Menschen
warfen nicht einmal einen Blick in jene Richtung. Die Frau des Cheftechnologen winkte mich heran und flüsterte: »Na, was sagen Sie zu diesen Verrückten?«
Ihr Gesicht drückte allzu beredt aus: Schließlich gibt es noch andere!
Als ich weitergehen wollte, hielt sie mich am Ärmel fest.
»Stimmt es, daß er nicht verheiratet ist?«
»Stimmt genau«, erwiderte ich mit möglichst undurchdringlicher Miene.
Als Juli Michailowitsch uns erblickte, freute er sich sichtlich über die Gelegenheit, seinen Anhängerinnen zu entkommen. Er zwängte sich durch die Reihen hindurch, faßte uns beide unter und zog uns plaudernd – ich glaube, er sprach über mittelalterliche Künstler – zum Ausgang. Hinter einer Säule verabschiedete er sich rasch, murmelte eine Entschuldigung der Art, daß es ihm sehr leid tue, schon gehen zu müssen, aber er habe leider keine Zeit, und verschwand.
»Wo ist Juli Michailowitsch?« fragten unsere plötzlich auftauchenden Frauen wie aus einem Munde.
Wir wechselten einen Blick, und die beiden gingen, einer ewigen weiblichen Taktik folgend, anstatt sich zu verteidigen, zum Angriff über. »Wir haben euch gesucht und gesucht, ihr aber kümmert euch überhaupt nicht um uns! Ihr könnt nichts anderes als über eure Arbeit und über Politik reden…«
Natürlich vergaßen wir unsere Vorwürfe sofort und gingen zu neutralen Themen über. Das stimmte unsere Frauen nachsichtiger.
Auf dem Nachhauseweg bemerkte Lida wie nebenbei: »Ich hätte nicht gedacht, daß so ein Mensch unter deinen Untergebenen ist…«
Sie brauchte mir nicht zu erklären, wen sie meinte. Schärfer als gewollt, berichtigte ich: »Das ist kein Mensch, sondern ein Syhom. Ein wesentlicher Unterschied!«
Das konnte sie natürlich nicht unwidersprochen hinnehmen. Mehr noch, freudig nutzte Lida die Gelegenheit, mich auf die Widersprüchlichkeit meiner Äußerungen aufmerksam zu machen. Ihrer Ansicht nach sagte ich immer nur das, was mir im Augenblick gerade vorteilhaft erschien.
»Ein Syhom ist ein synthetisierter Mensch und damit folglich ein Mensch. Du hast selbst gesagt, daß in ihm alles Menschliche erhalten und sogar noch verstärkt ist, daß die Hauptsache an vernunftbegabten Wesen nicht der Stoff ist, aus dem sie bestehen, sondern ihre Denkweise… Warum grinst du so höhnisch? Lachst du über dich selbst? Ich kann genau wiederholen, was du damals gesagt hast.« Lida gab ihrem Gesicht einen tiefsinnigen Ausdruck und ahmte meine Stimme nach: »Wir sollten immer daran denken, daß wir in Wesen von anderen Planeten, selbst wenn sie beispielsweise aus Siliziumverbindungen bestehen und in ihrem Körperbau Steinen ähnlicher sein sollten als Menschen, unsere geistigen Brüder sehen müssen…«
Lida blickte mich triumphierend an.
»Na? Sind das nicht haargenau deine Worte? Warte mal, wie war das doch? Syhome werden in Labors der Erde aus Eiweißverbindungen und Plasten geschaffen. Auch ihr Körperbau gleicht dem unseren…«
Ich beschloß, ihr lieber nichts zu antworten, und dachte: Sie hat ja recht. Und auch ich hatte damals recht. Wenn der Syhom unempfindlich gegen unsere Krankheiten ist, wenn er untauglich gewordene Organe durch neue ersetzen kann und tausendmal so schnell denkt wie wir, so ist das noch lange kein Beweis dafür, daß er schlechter wäre als wir. Wir Menschen haben die Syhome geschaffen, um mit ihrer Hilfe unsere Ziele verwirklichen zu können – andere Planeten zu erobern, ferne Welten zu erforschen – und die Schranken zu überwinden, die dem Menschen aufgrund seines unvollkommenen, nicht vom Menschen, sondern von der Natur geschaffenen Organismus gesetzt sind. Wir haben die Syhome so geschaffen, wie wir selbst sein möchten und wie wir unsere Kinder gern sehen würden. Und ebendeshalb fällt es mir jetzt schwer, mit einem Syhom zusammen zu arbeiten und zu leben – weil er fähiger und vollkommener ist als ich. Und wenn ein Mensch an seiner Stelle wäre? Ein Mensch mit seinen Fähigkeiten? Änderte das mein Verhältnis zu ihm?
Ich fürchte, daß an jenem Abend nicht nur meine Frau und ich ein solches Gespräch führten…
Natürlich hätte ich die Leitung anrufen und mich von Juli Michailowitsch befreien können.
Dann aber wäre meine Abteilung mit dem Regierungsauftrag nicht fertig geworden.
Du hast deinen Humor verloren, alter Junge, sagte ich mir. Vielleicht ist das an jenem Tag passiert, an dem man dich zum Abteilungsleiter gemacht hat? Laß uns einmal nachdenken und uns wie alte Freunde unterhalten. Was paßt
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