Die Rekonstruktion des Menschen
widersprach er mir mit finster zusammengezogenen Brauen: »Wenn aber ein Fehler drinsteckt, kostet die Schaffung mehrerer Modelle noch mehr Zeit.«
Natürlich müßte ich ihm recht geben, obwohl ich davon überzeugt war, daß wir keinen Fehler finden würden.
Wir prüften seine Berechnungen mehr der Form halber nach. Und als Semjon Alexandrowitsch ausrief: »Tatsächlich, hier ist ein Fehler, und zwar ein schwerwiegender!«, standen wir dem mehr als skeptisch gegenüber. Dann aber überprüfte Semjon Alexandrowitsch gemeinsam mit Grigori Gurjewitsch noch einmal alle Berechnungen, und ihre Gesichter wurden einander sehr ähnlich. Sie zerschmolzen geradezu in einem glückseligen Lächeln.
»Hier ist ein Fehler drin!« sagte Grigori Gurjewitsch triumphierend und faßte Semjon Alexandrowitsch um die Schultern.
»Worüber freut ihr euch eigentlich?« fragte ich, noch immer nicht recht an den Fehler glaubend.
Grigori Gurjewitsch schien meine Frage nicht gehört zu haben.
»Unser Syhomchen hat eine elementare Sache übersehen. Um sie zu berücksichtigen, muß man eben ein richtiger Mensch sein und kein Syhom.«
Ich schaute mir das Blatt an und entdeckte den Fehler auf den ersten Blick. Juli Michailowitsch hatte Flugphasen und Belastungen vorgesehen, denen der menschliche Organismus nicht gewachsen war. Dafür hatte er die Startgeschwindigkeit verringert. Ich schaute von den Zeichnungen auf und erblickte in der Scheibe des an der gegenüberliegenden Wand stehenden Schrankes mein Spiegelbild. Meine Visage zerschmolz zu einem genauso glücklichen Lächeln wie die Gesichter meiner Kollegen. Ich unterdrückte dieses Lächeln hastig, indem ich mich daran erinnerte, daß wir jetzt mit der Erledigung des Auftrages in Verzug kommen konnten.
Doch selbst das hatte wenig Wirkung.
»Juli Michailowitsch zu mir!« sagte ich zu meiner Sekretärin. In sich zusammengesunken, mit rundem Rücken, so als wollte er sich kleiner machen trat er bei mir ein. Sogar sein Gang war in letzter Zeit irgendwie zaghaft geworden.
Er machte den Eindruck, als fürchte er ständig, jemanden versehentlich anzustoßen.
Ich forderte ihn auf, Platz zu nehmen, und schaute ihm zum erstenmal furchtlos direkt in die Augen. Heute kam es mir nicht so vor, als durchschaute er mich ganz und gar, und es kostete mich keinerlei Mühe, freundschaftliche Gefühle für ihn zu empfinden. Vielleicht lag es daran, daß ich nun nicht mehr die Kluft spürte, die uns trennte: Sie war genau um die Größe seines Fehlers kleiner geworden.
»An der letzten Aufgabe müssen Sie noch ein wenig arbeiten«, sagte ich, mein Triumphgefühl unterdrückend.
»Wieso?« Er hielt den Kopf gesenkt, und ich sah deutlich seine mächtige, sich niemals in Falten ziehende Stirn.
»Sehen Sie… Sie brauchen den Kopf nicht hängenzulassen. Aber Ihnen ist ein schwerwiegender Fehler unterlaufen. Ich werde Ihnen gleich alles erklären. Wir können dann gemeinsam überlegen, wie er am besten zu beseitigen ist.«
Seelenruhig breitete ich die Zeichnungen auf dem Tisch aus. Ich konnte mir nicht das Vergnügen versagen, ihm einen kleinen Vortrag über den Bau des menschlichen Organismus zu halten und einige einfache Wahrheiten zu verkünden, die wir Menschen längst begriffen hatten.
»Nicht der Mensch soll sich der Technik anpassen«, sagte ich, »sondern die Technik soll dem Menschen dienen. Das ist das Wichtigste, woran jeder Konstrukteur denken muß…«
Denkbar nickend wiederholte er meine Worte. Beim Abschied drückte ich ihm, ohne mich sonderlich überwinden zu müssen, fest die Hand und wünschte ihm Erfolg.
Die Kunde von Juli Michailowitschs Fehler verbreitete sich mit Windeseile in der ganzen Abteilung. Die Einstellung zu ihm wandelte sich kraß. Fremdheit und Argwohn schwanden, und der eine oder andere rief ihn von nun an einfach beim Vornamen – Juli. Er schenkte seinen neuen Freunden ein offenes Lächeln und breitete verlegen die Arme aus, wenn die Rede auf den Stratoplan kam, so als wollte er sich im voraus für die Fehler entschuldigen, die ihm in Zukunft noch unterlaufen würden.
Am weitesten von allen ging Grigori Gurjewitsch in seinen Sympathiebezeigungen.
Er lud den Syhom zu seinem Geburtstag ein.
An jenem Abend war Juli Michailowitsch bezaubernd. Er tanzte der Reihe nach mit sämtlichen anwesenden Damen, darunter auch den Großmüttern und dem Schulmädchen Tassja. Er erzählte Witze und trank zwei Flaschen Schlehengeist, wovon er sogar einen kleinen Schwips bekam. Gegen mich verlor er zwei
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