Die Rekonstruktion des Menschen
Schachpartien und gewann nur eine einzige. Mit einem Wort, er war ein ganz normaler Mensch – nicht mehr und nicht weniger.
Auf dem Heimweg unterhielten Lida und ich uns über Juli Michailowitsch und gelangten zu der einmütigen Feststellung, daß er ein ganz sympathischer Kerl sei.
Am nächsten Tag kam Juli Michailowitsch in mein Arbeitszimmer, um sich mit mir über die bestmögliche Anbringung der aufblasbaren Sitzkissen zu beraten. Ich nahm mir natürlich Zeit für Erklärungen. Wir entwarfen gemeinsam eine kleine Zeichnung, und erst als er gegangen war, fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, ihm zu zeigen, wo die Hebel unterzubringen waren, und ich begab mich zu seinem Arbeitsplatz.
Als Juli Michailowitsch mich neben sich stehen sah, wurde er verlegen und suchte ein Blatt Papier zu verstecken. Dabei war er jedoch so nervös, daß das Blatt zu Boden fiel.
Juli Michailowitsch murmelte: »Ich hatte die Sitze schon entworfen, bevor ich zu Ihnen kam. Unsere Gedanken stimmten völlig überein.«
Ich hatte jedoch nicht umsonst einst als der beste Konstrukteur unseres Büros gegolten und konnte einen Entwurf auf den ersten Blick von einer fertigen Zeichnung unterscheiden.
»Kommen Sie mit, ich habe mit Ihnen zu reden«, sagte ich, und er folgte mir zerknirscht.
Ich ließ ihn vorangehen und schloß hinter uns fest die Tür meines Arbeitszimmers. Dann warf ich einen Blick auf seine großen Hände, die hilflos auf den Sessellehnen lagen.
»Sie haben einen Fehler begangen.«
»Ja, ja, das haben Sie mir schon erklärt«, stimmte er zu.
»Nein, nicht in den Zeichnungen. Sie haben die Menschen unterschätzt.«
Er wollte widersprechen, aber ich fiel ihm ins Wort. »Früher oder später wären wir sowieso dahintergekommen, daß der Fehler in den Zeichnungen nur vorgetäuscht war.«
Seine Augen bekamen einen so traurigen Ausdruck, daß ich unwillkürlich sagte: »Ich verstehe, daß Sie sich unter uns einsam fühlen und daß nicht Sie an dieser Einsamkeit schuld sind…«
Dann fiel mir ein, daß man als Leiter nicht nur mit den Menschen fühlen, sondern daß man ihnen Ratschläge und Empfehlungen erteilen und sie anleiten muß.
Deshalb sagte ich: »Die Lüge ist kein Ausweg. Sie haben die Disziplin vergessen, die wahre, innere Disziplin.«
Ich wußte, daß es alles nicht das Richtige war, was ich sagte, konnte aber die nötigen Worte nicht finden. Vor dem Schweigen aber hatte ich Angst, weil ich dann an all das hätte denken müssen, wovon ich nicht sprechen konnte: von den Ursachen der Feindseligkeit, von meinen Kollegen und mir, von den unverdienten Prämien und der, sogenannten Autorität des Leiters, von dem, was ich damals vor der Schule gesehen hatte.
»Sie haben recht«, sagte er. »In der Hauptsache haben Sie recht, und das ist schmerzlich. Aber sagen Sie mir, wo ich nach einem Ausweg suchen soll. Was soll ich tun, um so zu werden wie die anderen? Um die Feindseligkeit zu überwinden?«
Wir hatten an dasselbe gedacht, und er ließ den Kopf noch tiefer sinken.
»Ich kann kein Homo sapiens werden, obwohl ich im wesentlichen ein Mensch bin. Ich besitze alle menschlichen Qualitäten. Mein Gedächtnis sind die Bücher, die Archive und das Gedächtnis der Menschen, meine Erfahrungen sind die Erfahrungen der Menschen, und deshalb sind auch all meine neuen Gedanken die Gedanken eines Menschen. Alles an mir ist menschlich – außer dem Organismus. Auch Affen und Hunde haben fast denselben Organismus wie ihr Menschen… Und trotzdem erkennt ihr sie nicht als euresgleichen an…« .
Er seufzte, schüttelte als Antwort auf seine eigenen Gedanken den Kopf und fuhr fort: »Und selbst wenn ich ein Homo sapiens werden könnte, müßten wir von neuem einen Syhom erschaffen, und alles begänne von vorn: die Feindseligkeit und das Problem unserer Beziehungen. Wieder würden Sie einen solchen Untergebenen nicht haben wollen. Wenn er aber verschwände, würden Sie ihn vermissen, weil die Menschen ihre Ziele weiterverfolgen müssen, selbst wenn es dazu nötig wäre, daß sie sich änderten. Eigentlich haben die Menschen längst begonnen, sich zu ändern, und der heutige Mensch unterscheidet sich vom Pithekathropus mehr als von einem Syhom. In dieser ewigen Wandlung und Vervollkommnung liegt die Größe des Menschen! Wenn ihr in mir doch ein euch ebenbürtiges Wesen, einen Kameraden sehen könntet…« Juli Michailowitsch lächelte traurig. »Wenn man den Begriff Homo sapiens abkürzt und umdreht, ergibt sich übrigens fast der Name Syhom. Nur
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