Die Rekonstruktion des Menschen
seinerzeit »aufziehen« genannt wurde und der auf dem Spannen der bereits erwähnten Feder beruht. Solche Uhren – sie haben in unserer Zeit Seltenheitswert – wurden noch gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts benutzt. Meine Uhr ist eine kostbare Antiquität, sie ist schon fast einhundertfünfzig Jahre alt und ein Andenken an meinen Urgroßvater. Ich hänge sehr an ihr und würde sie um nichts in der Welt gegen eine moderne eintauschen. Regelmäßig jeden Abend ziehe ich sie auf, und sie zeigt immer die genaue Zeit an, nicht schlechter als die neuen elektrischen Zeitmesser. Meine Verzweiflung war groß, als sich eines Tages herausstellte, daß die Feder gesprungen war. Zum Glück hat ein Bekannter von mir, einer von der Sorte Mechaniker, die alles können und sich in allem auskennen, sich geopfert und sie wieder repariert. Seit dieser Zeit dient sie mir treu bis zum heutigen Tag. Aber nun, da ich für einige Tage eingeschläfert werde, wird sie stehenbleiben.
Vor der entsprechenden Tür hielt ich inne. Sie war nur angelehnt, ich ging also hinein und blieb unentschlossen in der Mitte des Raumes stehen. Er sah halb wie ein Laboratorium und halb wie ein wissenschaftliches Arbeitszimmer aus. Auf mehreren Tischen waren verschiedene, mir bis dahin völlig unbekannte Apparate aufgebaut. In der Mitte stand jener berühmte »Tisch«. Er sah genauso aus wie jeder andere ganz normale Operationstisch. An der einen Wand, mit dem Rücken zum Eingang, saß ein Mann mit graumeliertem Haar über einen Schreibtisch gebeugt. Er drehte sich mit seinem ganzen Stuhl herum. Stark vergrößernde Kontaktlinsen gaben seinem Gesicht einen unwahrscheinlich herzlichen Ausdruck. Als er das Wort an mich richtete, bestätigte mir seine weiche und sanfte Stimme, daß ich es mit jemandem zu tun hatte, den man für gewöhnlich »eine Seele von Mensch« nennt.
»Ich bin Ardis.« Er streckte mir die Hand zur Begrüßung entgegen. »Und du bist Vedi, nicht wahr?«
»Stimmt genau«, antwortete ich und drückte seine weiche Hand.
Er neigte den Kopf zurück und betrachtete mich geraume Zeit.
»Nun… gut…«, sagte er langsam, »zieh dir bitte diese Kombination dort an.« Er wies auf einen enganliegenden Overall, der an einem Haken an der Wand hing.
»Leg dich auf diesen Tisch«, fügte er hinzu, als ich mit dem Umziehen fertig war. »Ich werde dich für die Dauer der Untersuchungen einschläfern. Das wird drei oder vier Tage dauern, aber ich hoffe, daß dir die Zeit nicht lang werden wird.« Er lächelte mich gutmütig an.
Dann stülpte er mir eine Art Helm über den Kopf oder eher etwas wie eine dicke Kappe aus weichem, schaumgummiartigem Material. Mit Hilfe zweier elastischer Bänder, die er um meinen Hals wickelte und mit einer Schnalle im Nacken festmachte, befestigte er dieses Gebilde an meinem Kopf. Ich fühlte, daß kühles Metall meine Schläfen berührte. Ardis griff hinter sich und nahm einen kleinen Gegenstand vom Tisch, der aussah wie ein elektrisches Massagegerät. Mit der flachen, kühlen Oberfläche dieses Geräts berührte er meine Stirn. Eine alles überlagernde Welle von Müdigkeit überflutete mich. Ardis’ über mich geneigtes Gesicht verschwamm zu einem unscharfen rosa Fleck, der sich von der weißen Decke undeutlich abhob. Mit erlöschendem Bewußtsein nahm ich gerade noch wahr, daß Ardis meinen Helm mit der Hand berührte…
Ich öffnete die Augen. Ardis stand über mich gebeugt und rüttelte mich sanft am Arm. »Schon vorbei, Vedi. Du kannst aufstehen und dich umziehen.«
Ich blickte ihn fragend an. Er lächelte unstimmig – teils mitleidig, teils wehmütig – und schüttelte den Kopf.
»Nein…«, sagte er leise, »Ergebnis negativ.«
»Warum?« fragte ich heftig, vielleicht etwas zu laut, und richtete mich auf.
Ohne die Hände von meinen Schultern zu nehmen, blickte er mir in die Augen.
»Mach dir nichts draus«, sagte er leise, »nicht nur du allein mußt eine solche Enttäuschung erleben.«
»Aber … warum… schließlich…« Ich wollte ihn etwas fragen, war jedoch nicht in der Lage, die Frage zu formulieren. »Frag nicht weiter. Und glaube nicht, daß du die einzige Chance deines Lebens vertan hast. Wirklich, da gibt es nichts zu bedauern!«
Seine Tröstungsversuche begannen mich aufzuregen. ›Mach dir nichts draus!‹ Leicht gesagt!
Schnell zog ich mich an.
»Kann man nichts machen, auf Wiedersehen und Entschuldigung«, sagte ich in möglichst gleichgültigem Ton.
»Da gibt es nichts zu entschuldigen. Auf
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