Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
Vom Netzwerk:
gemeiner Schuft. Alles hätte anders sein können, hätte ich damals…
Toni kommt zurück.
»Sie ist eingeschlafen«, sagt er.
Lili nickt.
Wir wissen nichts zu sagen. Wahrscheinlich denken wir an
das gleiche.
»Bist du weit herumgekommen?« fragt Lili noch einmal. »Ja, es war ziemlich interessant.«
»Wirst du schreiben?«
»Wahrscheinlich.«
Lili kratzt über den Bezugsstoff des Sessels. Sie lauscht. Ich
spüre, daß meine Anwesenheit wie eine Bürde auf ihr lastet,
doch ich habe keine Kraft, aufzustehen und zu gehen. Ich lasse sie nicht aus den Augen, wie sie plötzlich erbleicht.
»Loy?«
Ich blicke zur Tür. Dort steht Loy. Offensichtlich betrunken.
Er hat ein schmutziges Hemd an, bis zum Gürtel offen, seine
Füße stecken in geflickten Hausschuhen. Sein Mund ist zu
einem idiotischen Grinsen verzerrt, über sein Kinn rinnt Speichel.
»Was ist passiert, Loy?«
Loy lacht. Sein wabbliger Bauch wippt im Takt unter der
eingefallenen, behaarten Brust.
»Das ist ein Gaudi.«
Er geht zur Liege und läßt sich fallen. Sein Körper krümmt
sich vor unbändigem Lachen.
»Ein Gaudi. Max hat in einer Woche rausbekommen, worüber ich Idiot mir fünf Jahre den Kopf zerbrochen habe. Im
Zentrum ist was los. Ein Affe!«
Mir ist kotzelend zumute. Wahrscheinlich ist das die Furcht,
die die Ratte zwingt, das sinkende Schiff zu verlassen. Ich
höre, wie der Bezugsstoff vom Sessel reißt. Nichts wie fort! »Loy.« Lili legt ihre Hand auf seinen zitternden Nacken. Zum
erstenmal vernehme ich echte Zärtlichkeit in ihrer Stimme.
»Nicht doch, Loy, verzweifle doch nicht, immerhin bleiben…« »Die Schaben«, ruft Toni. »Es bleiben die Schaben. Ihren
Einsatz, meine Herrschaften.«
Alexander Lomm
Der Skaphander Ahasvers
1
    Als Doriel Redshan, wie man so sagt, auf dem letzten Loch pfiff, daß heißt, als er gezwungen war, Biolia und den kleinen Arkif zu verlassen, um ihnen nicht das letzte Stück Brot wegzuessen, lief er dem alten Valmosk in den Weg; er traf ihn im Park, im herbstlich kalten Park auf einer Bank.
    Der ist ja tausendmal unglücklicher als ich! sagte sich Redshan, und neben dem natürlichen Mitleid regte sich in ihm so etwas wie Genugtuung: Ich bin also nicht der letzte auf dieser Welt!
    Der Alte bot tatsächlich einen traurigen Anblick: Seine Kleidung bestand nur aus Lumpen, das Gesicht mit den schmutzigen Borsten des seit langem unrasierten Bartes war ganz ausgemergelt, die tränenden Augen waren rot umrändert, und die hageren, sehnigen Hände hielten krampfhaft einen knorrigen Stock umklammert. Man erriet unschwer, daß er sich schon viele Tage nicht satt gegessen und immer gerade dort übernachtet hatte, wo sich eine Gelegenheit dazu bot.
    Das einzige, was in keiner Weise zu dem elenden Aussehen des Alten paßte, war sein Hund – eine große, rassige, gut genährte Dogge mit glattem, glänzendem dunkelgrauem Fell. Sie lag halb unter der Bank und hatte den klugen Kopf auf ihre mächtigen Vorderpfoten gelegt. Es gab keinen Zweifel, daß diese stolze Dogge dem Alten gehörte. Zu vertrauensvoll schmiegte sie sich an die ausgetretenen, schmutzigen Schuhe des Armen.
    Mit einem flüchtigen Blick auf das seltsame Paar setzte sich Redshan vorsichtig auf das äußerste Ende der Bank, rauchte die eben aufgelesene Kippe einer »Trino«-Zigarette zu Ende und wandte sich mit der in solchen Fällen üblichen Frage an den Alten: »Na, Kumpel, es sieht wohl schlecht aus, wie?«
    Der Alte drehte sich langsam zu ihm um, betrachtete ihn aufmerksam von den zerfransten Hosen bis zum fettigen Hutboden und streckte ihm plötzlich seine zitternde Hand mit den gekrümmten Fingern entgegen.
    »Valmosk«, sagte er dabei mit dumpfer, heiserer Stimme. »Wie?« fragte Redshan.
»Ich heiße Valmosk, Professor Valmosk!« wiederholte der
    Alte nachdrücklich.
Redshan wurde verlegen und errötete, drückte aber trotzdem
die ihm entgegenkommende Hand und nannte seinen Namen. »Arbeitslos?« fragte Valmosk.
»Ja, schon über ein Jahr«, gestand Redshan.
»Obdachlos?«
»Ja, das heißt fast… jedenfalls gehe ich nicht nach Hause,
bevor ich nicht etwas gefunden habe.«
»Haben Sie Hunger?«
»Ja, doch, zum Teufel!« knurrte Redshan und geriet plötzlich
ob dieser dummen Frage in Wut. »Arbeitslos, hungrig, Frau
und Sohn im Stich gelassen! Noch etwas? Außerdem böse,
böse wie ein Hund!«
Auf den Alten machte dieser kraftlose Wutausbruch nicht den
geringsten Eindruck. Als Redshan seinen Zigarettenstummel
aufgeraucht und sich etwas beruhigt hatte,

Weitere Kostenlose Bücher