Die Rekonstruktion des Menschen
nach einer kurzen Pause, »wo sind Sie im Augenblick?«
»Zu Hause.«
»Vielleicht kann ich auf einen Sprung vorbeikommen?«
»Bitte schön, gern.«
Zehn Minuten später klingelt es an der Tür.
»Da sind Sie ja, Sie Teufelskerl, Sven«, sagt er und setzt sich in einen Sessel. »Sie sind einfach nicht wiederzuerkennen.«
»Ich habe zehn Kilo abgenommen«, brüste ich mich.
»Beneidenswert. Was macht Thorn?«
»Thorn ist ein feiner Kerl – und seine Jungs auch.«
»Werden Sie schreiben?«
»Wahrscheinlich doch. Über vieles muß ich allerdings noch nachdenken.«
»So.«
Ich möchte nach Lili fragen, aber statt dessen stelle ich die idiotische Frage: »Was machen die Schaben?«
Toni grinst übers ganze Gesicht.
»Ich habe inzwischen einen ganzen Marstall zusammen. Einige Exemplare sind herrlich, einfach herrlich.«
Irgendwie fühlen wir uns beide nicht recht wohl in unserer Haut.
»Schade, daß ich nichts Trinkbares habe«, sage ich. »Doch während der Expedition…«
»Ich trinke nicht.« Toni unterbricht mich. »Ich habe es aufgegeben.«
»Das hätte ich nicht gedacht. Sind Sie etwa krank?«
»Sehen Sie, Sven« – und er blickt zu Boden –, »in Ihrer Abwesenheit ist manches passiert. Lili hat ein Kind.«
»Na und? Sie wollte es doch«, sage ich. »Ich hoffe, ihr Ehrgeiz ist nun befriedigt.«
Er legt die Stirn in Falten.
»Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll. Sie erinnern sich doch, da war dieses Horoskop.«
»Und ob ich mich erinnere.«
»Na sehen Sie, nach dem Horoskop hätte alles wunderbar klappen müssen. Ein Junge mit ungewöhnlichen Fähigkeiten.«
»Und?«
»Geboren wurde ein Mädchen, ein Kretin, dazu noch mißgestaltet.«
Mir ist, als schlüge die Decke über mir zusammen.
»Mein Gott«, flüstere ich, »die arme Lili. Was soll jetzt werden? Wie konnte das geschehen?«
Toni zuckt die Schultern.
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sind die genetischen Horoskope überhaupt Blödsinn, vielleicht liegt es aber auch an den Stimulatoren. Sie fressen dort im Zentrum nämlich alle möglichen Stimulatoren zur Anregung der Gehirntätigkeit in unheimlichen Dosen in sich hinein.«
Ich kann es einfach nicht fassen.
»Und Li? Ich stelle mir vor, wie ihr zumute ist.«
»Sie wissen doch, Lili kann Mitleid nicht ausstehen. Sie ist eine sehr, sehr zärtliche Mutter.«
»Und Loy? Kommt er sie besuchen?.«
»Selten, höchst selten. Er arbeitet wie ein Verrückter. Irgendwas haut bei ihm da draußen nicht hin. Er ist schon völlig entnervt, schläft nächtelang nicht.«
»Sagen Sie, Toni, ob ich Lili wohl sehen kann? Was meinen Sie?«
»Natürlich«, antwortet er, »deshalb bin ich doch hergekommen. Ich wollte Sie nur vorher warnen.«
»Guten Tag, Sven«, sagt Lili. »Da bist du also wieder.«
Sie hat sich ein wenig verändert, ist nur ein bißchen schlanker geworden.
»Ja«, sage ich, »ich bin wieder da.«
»Bist du weit rumgekommen?«
»O ja.«
»Wirst du schreiben?«
»Ich denke schon.«
Schweigen.
»Vielleicht sollten wir wie in alten Zeiten ein Spielchen machen«, sagt Toni. »Schauen Sie sich unsere hübschen Tierchen einmal an. Extraklasse.«
»Danke. Ich habe keine rechte Lust. Vielleicht das nächste
Mal«, sage ich.
»Nimm deine Schaben«, sagt Lili, »ich kann sie nicht ertra
gen.«
Erst in diesem Augenblick bemerkte ich ihr abgespanntes
Gesicht.
Aus dem Nebenzimmer tönen irgendwelche miauenden Laute
herüber, Lili springt auf. Auch ich mache unwillkürlich eine
Bewegung. Sie dreht sich zu mir um. Aus ihren Augen sprechen Haß und Verachtung.
»Rühr dich nicht von der Stelle, du Schuft«, schreit sie mich
an.
Ich setze mich wieder hin.
Ihr Zorn verfliegt schnell.
»Laß gut sein«, sagt sie. »Egal, komm schon.«
»Vielleicht sollte ich es lieber nicht, Li«, sage ich leise. »Mach die Milch warm«, sagt sie zu Toni. »Komm, Sven.« In dem Bettchen liegt ein winziges, faltiges Gesichtchen. Die
weitgeöffneten Augen bedeckt ein matter hellblauer Schleier. »Schau.« Sie nimmt die Decke weg, und mir wird übel. »So, jetzt weißt du es«, sagt Lili.
Während sie die Windeln wechselt, starre ich in die andere
Ecke.
»Komm«, sagt Lili, »Toni füttert sie.«
Ich greife nach ihrer Hand. »Lili!«
»Laß das!« Sie entreißt mir ihre Hand. »Um Gottes willen,
hör auf. Reicht dir das noch nicht?«
Wir gehen ins Wohnzimmer zurück.
»Weißt du, ich wäre wahrscheinlich wahnsinnig geworden,
wäre Toni nicht. Er kümmert sich sehr um uns.«
Ich sitze und finde, daß sie recht hat: Ich bin wirklich ein
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