Die Rekonstruktion des Menschen
Mittagspause, dann können Sie hinein.« Es bleibt uns nichts weiter übrig, als zu warten. Aus Langeweile gucken wir uns die Äffchen an.
»Was sollen die hier?« fragt Toni und zeigt auf die Käfige. »Keine Ahnung, ich bin nur der Wärter. Ich habe sie zu füttern. Was weiter mit ihnen geschieht, geht mich nichts an.« »Hol sie der Teufel«, sagt Toni. »Fahren wir nach Hause,
Sven.«
»Wann ist denn Mittagspause?« frage ich.
»Gleich, ich läute sofort.«
Eine Glocke ertönt. Die Äffchen unterbrechen ihr Kreischen
und stürzen zu den Gittern. Unwillkürlich bemächtigt sich
meiner eine unbeschreibliche Erregung.
Die massiven Türen öffnen sich, und heraus spazieren fünf
Gorillas.
Die Äffchen in den Käfigen gebärden sich mit einem Male
wie toll. Sie kreischen, schlagen wild mit den Armen durch die
Gegend und spucken durch die Gitterstäbe.
Die Gorillas schreiten gemächlich vorüber, sie schauen
hochmütig in ihren grellen Kitteln drein und wiegen sich leicht
im Gehen. Sie besitzen eine eigenartige Ähnlichkeit mit Loy. Die Gorillas marschieren vorüber, ohne uns auch nur eines
einzigen Blickes zu würdigen, und verschwinden in einem
kleinen Haus am Ende des Hofes.
»Aus«, sagt der Wärter. »In einer Stunde kommen sie zurück.
Wenn Sie Lust haben, können Sie ja warten.«
»Kommen Sie, Sven. Hier kommt der gesunde Menschenverstand nicht mehr mit.«
Abgespannt und wütend treten wir den Rückweg an. Toni
pfeift durch die Zähne. Er geht mir auf die Nerven.
Der Weg biegt zur Hauptallee ein. Dort steht ein Pärchen eng
umschlungen. Ich erkenne sie auf Anhieb.
»Ziehen Sie den Hut, Sven«, sagt Toni gespreizt. »Wir wohnen heute einem hervorragenden Experiment bei, das die erweiterte Reproduktion der Eierköpfe einleitet.«
Ich drehe mich um und schlage ihm mit voller Wucht meine
Faust in die grinsende Visage.
»Sie Idealist, Sven«, sagt Toni und wischt sich das Blut von
den Lippen. »Sie unverbesserlicher Idealist. Und richtig zuschlagen können Sie auch nicht. Wennschon, dann gleich ein
Schlag, von dem keiner mehr aufsteht. Schriftsteller!« Ich nähere mich dem Paar, balle die Fäuste und verfluche
mich, niemals genug Courage zu besitzen, um die Hand gegen
eine Frau zu erheben. Toni tritt zurück, ich höre seinen pfeifenden Atem hinter mir.
Lili bemerkt uns zuerst. Ihre vor Glück trunkenen Augen
strahlen.
»Ihr könnt uns beglückwünschen, Jungs«, sagt sie. »Es klappt
alles ausgezeichnet. Auch das Horoskop ist einsame Klasse!« Wir schweigen.
Loy hakt sie unter.
Lili wendet sich an Toni: »Ich hin in zehn Tagen wieder da.
Besauf dich bitte nicht sinnlos.«
Wir beide sehen ihnen nach. Als sie das Tor erreicht haben,
sagt Toni: »Fahren wir zu mir. Ich habe eine volle Flasche zu
Hause.«
Drei Tage sind nur vergangen, doch mir scheint, als seien wir inzwischen um ein Dutzend Jahre älter geworden.
Ich fliege fort, Toni begleitet mich.
»Hier ist der Brief für Thorn«, sagt er und reicht mir ein Kuvert. »Thorn wird Sie bestimmt, aufnehmen. Ihm fehlen immer Leute. Die Archäologie gehört schließlich nicht zu den offiziell anerkannten Wissenschaften. Die arbeiten dort mit dem Spaten.«
»Danke, Toni«, sage ich. »Doch ehrlich gesagt, es ist mir völlig Wurst, womit sie dort graben. Mich interessiert etwas anderes.«
»Alles Blödsinn«, sagt Toni. »Zwanzigstes Jahrhundert. Unbegreiflich, was Sie da lockt.«
»Ich weiß es selber nicht. Ich möchte einfach zur Vergangenheit zurückkehren. Ich möchte verstehen, wann und wo der schicksalsschwere Fehler gemacht worden ist. Vielleicht schreibe ich einen historischen Roman.«
»Das tun Sie ja doch nicht.« Toni grinst. »Sie wissen es selbst, daß Sie keinen schreiben.«
Ich blickte zur Uhr. Höchste Zeit.
»Leben Sie wohl, Toni.«
»Servus, Sven.« Er umarmt mich.
Ich steige die Gangway hinauf. Toni sieht von unten zu mir herauf.
»Kommen Sie bald wieder, Sven!«
»Ich komme wieder«, rufe ich, doch der Motorenlärm schluckt meine Worte. »In sechs Monaten bin ich wieder da.« Ich verkalkulierte mich um genau ein Jahr.
Ich habe kaum die Schwelle meines Hauses betreten, da überwältigt mich auch schon das Gefühl, die eineinhalb Jahre hätten gar nicht existiert. In der Welt geht alles seinen alten Gang.
Als erstes rufe ich Toni an.
»Seien Sie gegrüßt, Sven«, sagt er. »Ich freue mich, daß Sie wieder in der Stadt sind.«
»Das kann ich von mir gerade nicht behaupten«, antworte ich. »Wie geht es Ihnen?«
Toni druckst.
»Hören Sie«, sagt er
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