Die Rekonstruktion des Menschen
Milieu dabei mit. Redshans Nerven waren erregt, und so war es nicht weiter verwunderlich, daß er plötzlich zusammenzuckte und fast aufgeschrien hätte, als es rechts von ihm raschelte und aus der dunklen Ecke, wo der Haufen alter Lappen lag, ein riesiger Siamkater hervorschlich. Redshans Herz trommelte wie verrückt. Um sich etwas zu beruhigen und den Angstanfall zu unterdrücken, lockte er den Kater: »Miez, miez, miez! Komm her, Kätzchen!«
Aber der Kater reagierte nicht auf den Ruf. Er ging gravitätisch zu der Dogge, schaute sie aus seinen menschlichen Äuglein an, sprang dann auf den Diwan, blickte dem Hausherrn ins Gesicht und verschwand ebenso plötzlich wieder in seiner Ecke.
Redshan wollte ihn noch einmal hervorlocken, doch da vernahm er die heisere Stimme Valmosks: »Geben Sie sich keine Mühe, Redshan! Der Kater Flipp ist genauso taub und stumm wie Rongi! Gedulden Sie sich, ich ruhe mich nur ein wenig aus, dann kommen wir zur Sache.«
4
Der Alte schlief eine geschlagene Stunde. Währenddessen rauchte Redshan alle seine Kippen und Tabakkrümel auf, die er aus seinen Taschen geschüttelt hatte. Der Rauch im Zimmer wurde jedoch nicht dichter. Wahrscheinlich gab es hier ungeachtet der fehlenden Fenster doch noch eine Entlüftung. Als Redshan keinen Tabak mehr hatte, bekam er Hunger. Er stand auf und ging zum Tisch, in der Hoffnung, dort etwas Eßbares zu finden.
Unter verschimmelten Brotkrusten, Kartoffelschalen und anderen Abfällen lag ein Stück Käse, das in ein relativ sauberes Stück Papier eingewickelt war. Redshan biß gierig hinein. Aber er hatte das erste Stück noch nicht zerkaut, als er hinter seinem Rücken ein böses, verdrießliches Knurren hörte: »Rühren Sie mein Essen nicht an! Sie sind nicht zum Abendbrot hier! Ich habe selbst nichts zu beißen!«
»Hören Sie auf, den Bettler zu spielen, Professor!« antwortete Redshan, angestrengt den Käse kauend. »Schließlich müssen Sie doch auch Ihre Tierchen mit irgend etwas füttern! Wie gut genährt sie sind!«
Da erhob sich Valmosk vom Diwan und trat an den Tisch. Er schnupperte an dem Papier, das Redshan fortgeworfen hatte, und fragte vorwurfsvoll: »Haben Sie meinen Käse aufgegessen, Redshan?«
»Ja, Verehrtester, und ich verspüre nicht die geringsten Gewissensbisse. Sollten Sie ihn für Rongi aufgehoben haben, so muß Ihre wunderschöne Dogge heute einmal ohne Käse zu Abend essen!«
»Rongi und Flipp brauchen keine Nahrung«, sagte der Alte leise. »Es sind schon über vierzig Jahre vergangen, seit sie zum letzten Male etwas gefressen haben! Ich dagegen? Man kann sich den Berg Lebensmittel kaum vorstellen, den ich in dieser Zeit mit meinen Zähnen zermahlen habe! Bisweilen, Redshan, beneide ich diese Kreaturen.«
»Wieso brauchen sie keine Nahrung?« rief Redshan, verblüfft über diese neue Entdeckung.
Der Alte antwortete nicht. Er griff sich eine trockene Kruste vom Tisch und saugte gierig daran. Ganz in diese Beschäftigung vertieft, kehrte er auf den Diwan zurück. Redshan glaubte einen Geisteskranken vor, sich zu haben. In der Tat bargen die Worte und das Benehmen des Alten sehr viel Seltsames und Absonderliches. Nachdem er sich etwa fünf Minuten an der Kruste gelabt hatte, nahm er sie plötzlich wieder aus dem Mund und wies damit auf den wackligen Stuhl, auf dem Redshan eben noch gesessen hatte.
»Das ist schon lange her. Sehr lange…«, murmelte er und schloß verträumt die Augen. »Sie können sich nicht vorstellen, Redshan, wer vor siebenunddreißig Jahren auf diesem Stuhl gesessen hat! Nicht einmal im Traum würden Sie darauf kommen! Erm Grunsoll hat da in eigener Position gesessen, der reichste Mann der Welt! Ja, ja, der Milliardär Erm Grunsoll! Allerdings nicht der heutige Erm Grunsoll der Fünfte, sondern sein seliger Großvater, Erm Grunsoll der Dritte. Er saß auf diesem Stuhl wie auf einem Thron und sagte immer wieder: ›Nein, Valmosk, das ist nichts für mich!‹ Dann ging er, und mit ihm gingen fünfhundert Millionen Surem, die ich Rechtens für mein Eigentum halten durfte. Seitdem bin ich ein Bettler. Aber ich komme schon wieder zu Geld. Ich werde noch einmal von goldenem Geschirr essen und in Luxusautos fahren! Wenn sich nur ein Mensch findet, der einen wirklichen Herzenswunsch hat! Sie zum Beispiel, Redshan, Sie haben mein letztes Stück Käse gegessen. Wenn ich Sie frage: ›Können Sie mir meinen Käse zurückgeben?‹ werden Sie sagen: ›Nein Valmosk, das kann ich nicht! Ich bin auch nur ein
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