Die Reliquie von Buchhorn
»Er ist ermordet worden, und seiner Seele droht die Hölle. Er braucht unsere Fürsprache. Wollt ihr sie ihm wirklich verweigern?« In die entstandene Stille hinein fragte er: »Reicht es nicht, dass sie auf seinem Grab tanzen wird?« Aller Augen folgten dem langen ausgestreckten Zeigefinger.
Isentrud sah den Männern mit unbewegtem Gesicht entgegen.
Eberhard schob mit einer entschlossenen Geste seine Schale zurück. »Gebt Ruhe, Leute. Der Mönch wird sich der Sache annehmen.«
»Und wenn er nicht kommt?«
»Er wird kommen.«
Der Töpfer schüttelte die dichten braunen Haare zurück. »Du glaubst nicht an Wulfhards Schuld, nicht wahr?«
»Nicht wirklich«, entgegnete Eberhard zögernd.
»Und wer war es dann?« Bertrams Augen leuchteten auf, als der Kriegsknecht die Antwort schuldig blieb. »Wer hat Dietger denn gehasst? Wer trägt noch die Spuren seiner berechtigten Schläge? Zwei Mal habe ich sie gefragt, wo sie war, als ihr Mann erschlagen wurde. Und was hat sie gesagt? Nichts! Dietger war mein bester Freund. Und ich will Gerechtigkeit.«
»Das wollen wir alle«, rief Eberhard und versuchte, den wütenden Töpfer auf einen Hocker zurückzuziehen. »Aber es ist nicht unsere Aufgabe, zu richten.«
»Und außerdem war es sowieso Wulfhard«, mischte sich Gisbert mit heller Stimme ein. »Er hat doch dauernd auf Dietger geschimpft.«
»He, das hat Hannes auch«, rief einer und lachte, aber seine Fröhlichkeit klang aufgesetzt.
Der Wirt hieb mit der Hand auf den Tisch, dass die Becher erzitterten. »So, das reicht jetzt! Entweder ihr haltet alle eure Schandmäuler, oder ich schmeiß euch raus!«
»Setz dich nicht zu sehr für die schöne Witwe ein«, erwiderte Bertram, aber er lächelte. »Mensch, Hannes, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wir dich verdächtigen.«
Die Männer lachten, und diesmal klang ihr Gelächter befreiter.
Eberhard ließ sich auf seinen Schemel zurücksinken und gab Gisbert einen Klaps. »Dann lasst mich endlich zu Ende essen, Männer«, sagte er. »Und haltet euch ein bisschen zurück, bis der Graf wieder da ist. Hannes, kriegen wir noch was zu trinken?«
»Weil Ihr es seid«, brummte der Wirt nur halb versöhnt. Er stapfte in die Küche. »Isentrud?« Suchend sah er sich um. Die Frau saß zusammengekauert auf einer Kiste und hatte die Arme um die Knie geschlungen. Vorsichtig berührte er ihre Schulter.
Ein Zittern lief durch Isentruds Körper. Mit einer matten Geste hob sie den Kopf und sah aus tränenlosen starren Augen zu Hannes auf. »Ich bin keine Mörderin. Das schwöre ich.«
Hannes atmete tief aus. »Darauf kommt es nicht an, sondern darauf, was die Menschen glauben.« Er wandte sich zum Gehen.
»Und was glaubst du?«, flüsterte Isentrud.
Der Wirt blieb die Antwort schuldig.
Die Ruderer zerrten den flachen Lastkahn an Land, während einige Buchhorner Fischer herbeiliefen, um die Pferde und den Wagen des Grafen aus dem Schiff zu holen. Befehle wurden gebrüllt, während sich die Rampe mit lautem Knirschen senkte.
Eckhard schien von dem Lärm ringsum nichts mitzubekommen. Er stand an der Bordwand und sog die Seeluft ein. »Das riecht ganz anders als das Kloster, findest du nicht auch, Bruder Rodericus?«
Der junge Mönch schlang die Arme um seinen Körper und unterdrückte ein Frösteln. »Ja, und es macht mir Angst. Ich habe mein ganzes Leben im Kloster verbracht. Das ist meine Welt.«
»Wo bist du aufgewachsen? In Sankt Michael?«
Rodericus schüttelte den Kopf. In seinen Augen schimmerte etwas wie Sehnsucht. »In Lorsch.«
»Und Bruder Warmund?«
»Ich weiß nicht genau. Ich glaube, er trat gleich in Sankt Michael dem Orden bei.«
»Für ihn gab es also eine Zeit vor dem Kloster.«
»Wie für dich?«
Eckhard lächelte, aber er ignorierte den fragenden Tonfall des jungen Mannes. »Erzähl mir mehr von Bruder Warmund. Wie war er? Ich brauche Anhaltspunkte, wenn ich ihn finden soll.«
»Du? Ich dachte, du sollst dich um den Mord in Buchhorn kümmern.«
Ein leichtes Lächeln kräuselte Eckhards Mund. »Das wird schnell geklärt sein. Und dann …«
Ein Schrei ließ sie herumfahren. Wendelgard hatte die Hände auf den Bauch gepresst und taumelte. Sofort schlang ihre Magd Gunhild die Arme um ihre Herrin und stützte sie. Gleichzeitig stürzte der Graf an die Seite seiner Frau. Keuchend lehnte sie sich an ihn.
»Sie hätte nicht schwanger werden dürfen«, sagte Eckhard düster.
»Recht hast du. Sie war eine Inkluse. Es ist Sünde, dass sie jetzt
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