Die Reliquie von Buchhorn
ihn?«
Eckhard wählte seine Worte sorgfältig. »Es geht um einen Mord und einen verschwundenen Klosterbruder. Ich denke, ein wenig weltliche Hilfe wird uns ganz gelegen kommen.«
»Vielleicht habt Ihr recht. Gerald mag Euch morgen früh begleiten. Ich werde ihm sagen lassen, dass er sich bereithalten soll.«
Eckhard verneigte sich. Udalrich betrachtete ihn eine Weile, dann blitzte ein spöttisches Funkeln in seinen Augen auf. »Euren jungen Ordensbruder findet Ihr übrigens in der Kapelle. Nur weil Ihr Euch so eingehend nach ihm erkundigt. Er hat Euch vermisst.«
Die Kapelle war klein, düster und so kalt, dass Eckhard die Hände in den Ärmeln der Kutte zu wärmen versuchte. Rodericus kniete im Schein einer einzelnen Kerze auf den eiskalten Steinen. Sein Kopf war gesenkt, und Eckhard konnte den hellen Fleck seiner Tonsur in der Dunkelheit schimmern sehen. Er trat näher. Seine Sandalen hinterließen weiche tappende Geräusche in der Stille.
»Bruder Rodericus.«
Der junge Mönch regte sich nicht.
»Bruder Rodericus«, wiederholte Eckhard lauter. »Ich bin es, Bruder Eckhard.«
»Du solltest beten!«
Eckhard zuckte zusammen und trat näher. Unwillkürlich faltete er die Hände. »Bruder Rodericus, ich …«
»Du hast nicht zur Vesper gebetet, nicht wahr? Du hast es dem Abt versprochen, aber du hast es nicht getan. Willst du, dass deine Seele dem Teufel anheimfällt?«
Über Eckhards Rücken lief ein Schauer, während er auf das Echo der hellen Stimme lauschte. Wortlos kniete er neben dem jungen Mönch nieder und senkte gleich ihm den Kopf. Als er seine stummen Gebete verrichtet hatte, riskierte er einen Blick auf seinen Begleiter und schrak zurück, als er begriff, dass Rodericus ihn schon seit geraumer Zeit prüfend gemustert haben musste. Er unterdrückte seinen Ärger und stand auf.
»Wir brechen morgen nach Bregenz auf«, sagte er härter, als er beabsichtigt hatte.
Rodericus zog die Schultern zusammen und drückte das Kinn auf die Brust.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Rodericus nickte. Plötzlich drehte er sich um und sah zu dem älteren Mönch auf. Das eifernde Selbstbewusstsein war etwas gewichen, das Eckhard überrascht als Angst interpretierte. »Warum Bregenz?«
»Es gibt eine Spur, die nach Bregenz führt. Dort können wir vielleicht auch Bruder Warmund finden.«
»Aber wir wissen doch, dass er dort verschwunden ist. Warum müssen wir wieder dorthin zurück?« Mit einem leichten Stöhnen verlagerte Rodericus das Gewicht, und Eckhard fragte sich, wie lange der junge Mann schon in dieser knienden Position verharren mochte. »Gibt es denn nichts, das über Bregenz hinausweist?«
Eckhard schüttelte den Kopf. Gleichzeitig streckte er die Hand aus und war überrascht, dass Rodericus sie mit eiskalten Fingern ergriff und sich auf die Füße helfen ließ. Sekundenlang sahen die beiden Mönche sich stumm an.
»Hast du Angst vor etwas, Bruder?«, fragte Eckhard endlich.
Rodericus’ Lippen begannen zu beben. »Ja«, flüsterte er. »Ich habe Angst vor der Sünde.«
»Ja, schon, aber …« Eckhard sah den Funken, der in Rodericus’ Augen aufglomm, und unterbrach sich. »Die Sünde ist schlimm, aber gibt es etwas Konkretes, das du fürchtest? Etwas, das mit Bruder Warmund zu tun hat? Und mit Bregenz?« Er verstärkte den Druck seiner Finger. »Hast du uns etwas verschwiegen, dem Abt und mir?«
Diesmal fiel Rodericus’ Kopfschütteln heftiger aus. »Nein, aber ich fürchte die Sünde«, wiederholte er. »Und sie wartet in Bregenz. Sie hat auf Bruder Warmund gewartet, weil er es zugelassen hat. Und sie wartet auch auf dich, mein Bruder im Geiste. Ich sehe sie hinter dir und um dich, und sie reckt ihre Klauen, um sie in deine Seele zu schlagen.« Eckhard öffnete den Mund, aber er brachte keinen Ton heraus. Rodericus nickte, als ob er eine Bestätigung erhalten habe. »Schütze dich durch Gebet und fromme Gedanken«, wisperte er, während er Eckhard seine eisige Hand entzog. Langsam ging er rückwärts zur Tür. »Kasteie dich, wenn es nötig ist, aber entsage dem Stolz, an dem du dich wärmst wie an einer Flamme. Denn noch heißer ist die Hölle!« Er schlüpfte durch die Tür, die dumpf hinter ihm zufiel.
Sprachlos starrte Eckhard auf die Stelle, an der der junge Mönch eben noch gestanden hatte. Er zitterte am ganzen Körper, und es dauerte einige Zeit, ehe er die Erstarrung abschütteln konnte. Rasch machte er das Zeichen des Kreuzes, beugte das Knie vor dem einfachen
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