Die Reliquie von Buchhorn
Schulter.
Gisbert sah sich nach Steffen um. Der stand mit geballten Fäusten und trotzig vorgerecktem Kinn vor Hannes und ließ dessen Standpauke über sich ergehen. Ein zufriedenes Lächeln huschte um Gisberts Mund. Er begann zu erzählen.
Nach einer Weile erhob sich der Fischer und ging zu Hannes an den Ausschank. »Gib mir Wein. Dein Neffe hat mir wieder Bier gebracht.«
»Steffen tut, was er kann, Veit!«
Der alte Fischer kratzte ausgiebig seinen struppigen Bart. »Wo ist er eigentlich? Ich seh ihn nicht.«
»Ich hab ihn nach Hause geschickt. Ich möchte keine Schlägerei zwischen zwei dummen Jungen in meiner Buche.«
»Der Bursche sollte nicht so empfindlich sein.« Veit musterte die Bierpfützen missbilligend. »Hannes, ich sag’s dir im Vertrauen, du brauchst eine anständige Schankmagd, die auch mal einen Scherz vertragen kann, keinen grünen Jungen.«
Hannes hob die massigen Schultern. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber deswegen bist du doch nicht hier, und deinen Wein kann ich dir auch bringen.«
Ein schlaues Lächeln teilte Veits grauen Bart und entblößte ein paar Zahnlücken. »Aber hier kann ich mit einem vernünftigen Mann ein paar Worte wechseln. Jetzt reden die da drüben wieder über Isentrud. Willst du die Wahrheit wissen, Hannes? Ich kann es nicht mehr hören. Jetzt erzählt Bertram uns sogar, ihm wäre Dietgers Geist erschienen und hätte Sühne verlangt.«
»Und du glaubst das nicht?«
Veits Miene verdüsterte sich. »Jeder weiß, dass es Geister gibt, und dass die Toten oft ihre Ruhe nicht finden. Aber irgendwie kommt mir das seltsam vor. Und jetzt sagt Gisbert, dass sie gar nicht verhaftet worden ist, sondern dass sie Schutz beim Grafen gesucht hat.«
»Na bitte!« Hannes’ Stimme dröhnte so laut durch die enge Gaststube, dass einige der Männer neugierig die Köpfe wandten. Der Wirt beugte sich hastig wieder über seine Krüge. »Und das weißt du sicher?«
»So sicher, wie man Gisbert Glauben schenken darf. Ich meine, glaubst du, dass der Graf einen grünen Jungen wie ihn zum Stallmeister macht? Egal, ob Wulfhard schuldig ist oder nicht.«
»Von dem hat man nie wieder was gehört?«
Veit grinste. »Nee. Und wenn der schlau ist, bleibt es auch dabei. Komisch ist nur, dass der Graf ihn nicht hat verfolgen lassen. Da versteh einer die hohen Herren.« Veit leerte seinen Becher und stellte ihn mit einem Seufzer ab.
»Noch einen?«
»Nein, nicht nötig, ich muss nach Hause, der See ruft bald.«
Hannes räumte den Becher weg und musterte den Fischer prüfend. »Warum treibst du dich eigentlich mit diesem Bertram herum? Du bist doch ein anständiger Kerl, Veit.«
Der alte Fischer lächelte, aber seine Augen blieben ernst. »Danke, Hannes«, sagte er nur und ging schwankend ins Freie.
Die kalte Nachtluft half Veit, wieder nüchtern zu werden. Er holte tief Atem und schlug den Weg vorbei an der Leutkirche zu seiner Hütte am Seeufer ein. Die Stimmen aus der Buche waren bald in der Nacht verklungen. Es war so still, dass sogar das leise Klatschen der Wellen zu hören war. Plötzlich blieb der alte Fischer stehen und lauschte. Vom Kirchplatz her drangen leise Stimmen. Veit konnte die Worte nicht verstehen, aber er spürte ihre unterdrückte Wut in jeder Faser seines Körpers.
»Wer ist da?«, rief er laut, während er seinen Stock fester packte.
Das Getuschel verstummte schlagartig. Nach einer Weile raschelten die Büsche, und Steffen trat ins Mondlicht.
Veit musterte ihn streng. »Du also. Und wer noch?«
Drei weitere Jungen lösten sich aus dem Schatten der Bäume und scharten sich um Steffen.
Veit musterte sie einen nach dem anderen. Schließlich wandte er sich an den Ältesten und Kräftigsten der Gruppe. »Du bist doch Sigmund, der Sohn des Zimmermanns.«
»Ja.«
»Und ich nehme an, ihr wollt mit Gisbert abrechnen, weil er euren Freund beleidigt hat?«
Die vier Jungen starrten angestrengt auf den Boden.
»Macht keine Dummheiten!«, mahnte der alte Fischer. »Gisbert mag ein Großmaul sein, aber er steht in Diensten des Grafen.«
Sigmunds Kopf ruckte in die Höhe. »Na und?«
Veit sah ihn durchdringend an. »Junge, glaub mir! Der Graf wird nicht tatenlos zusehen, wenn seine Leute angegriffen werden. Und der lässt es nicht bei einer Tracht Prügel bewenden.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Warum helft ihr Steffen nicht in der Buche?«
Sigmund grinste verächtlich. »Ich bin der Sohn vom Zimmermann, keine Schankmagd!« Steffen starrte seinen Freund an. Der
Weitere Kostenlose Bücher