Die Reliquie von Buchhorn
lassen. Du hast einen Toten bestohlen, und dafür hast du Strafe verdient.« Er sah in die Gesichter seiner Freunde. »Was machen wir mit ihm?«
»Erschlagen wir ihn!«
Der Gefangene wand sich und stammelte etwas Unverständliches.
Auch Hannes schüttelte den Kopf. »Ihr wollt doch nicht wirklich einen Knecht des Grafen erschlagen!«
»Nein, das wollen wir nicht.« Bertram lächelte. Langsam hinkte er auf den jungen Mann zu und musterte ihn von oben bis unten. »Ich denke, wir sollten ihn durchs Dorf treiben, damit jeder sehen kann, was wir mit Dieben machen. Und damit er diese Nacht ganz sicher nicht vergisst«, Bertram lächelte noch breiter, »reißt ihm die Kleider herunter!«
»Erbarmen!«, heulte der Knecht, aber die Männer lachten nur, während sie die Reste seiner Kleidung zerfetzten. Ein paar Männer hielten seinen nackten, zitternden Körper fest, während die anderen Äste von den Büschen rissen.
»Und jetzt lauf!«
Mit einem lauten Jammerschrei rannte der Knecht los, doch aus der Traube der Buchhorner konnte er sich nicht befreien. Lachend und johlend peitschten sie ihm die Zweige über Rücken und Gesäß. Sein Wehgeschrei gellte durch die Nacht, während sich rote Striemen auf der blassen Haut bildeten. Auch Steffen und seine Freunde mischten sich unter die Männer und versuchten, mit ihren Ruten die nackte Haut des Mannes zu treffen. Plötzlich fühlte der Junge, wie sein Handgelenk gepackt und herumgedreht wurde. Mit einem Aufschrei ließ er den Zweig fallen. Als er sich umsah, blickte er in das gerötete Gesicht seines Oheims.
»Aber was ist denn?«, stammelte er verwirrt.
»Du gehst jetzt sofort nach Hause«, befahl Hannes barsch.
Dennoch hatte Steffen das Gefühl, dass der Ärger seines Oheims nicht ihm galt. Als er sich umsah, bemerkte er, dass Hannes nicht der Einzige war, der dem Treiben mit Besorgnis zusah. »Was ist denn?«, wiederholte er kleinlaut.
»Das hier geht zu weit«, sagte der Wirt leise, beinahe zu sich selbst. »Und der Graf wird es nicht einfach so hinnehmen.«
»Hätten …, hätten wir ihn nicht festhalten sollen?« Steffen schluckte und sah zu der weißen, taumelnden Gestalt hinüber.
»Nein, das war schon richtig. Er hat gestohlen, und dafür hat er Strafe verdient. Aber das soll nicht deine Sorge sein. Lauf nach Hause.« Hannes gab Steffen einen freundlichen Klaps, dann kämpfte er sich mit ein paar Gleichgesinnten näher an Bertold heran. Der junge Mann war vor Angst halb von Sinnen. Blut und Tränen vermischten sich auf seiner Haut. Als Hannes seine Schulter packte, riss er den Arm hoch und stieß ein schwaches Wimmern aus. Gleichzeitig wurden die Schläge schwächer und hörten schließlich ganz auf.
»Was soll das, Hannes?«, fragte der Zimmermann. »Bis zum Anwesen ist es noch ein gutes Stück.«
»Richtig, und das überlebt er bei der Kälte nicht.« Hannes packte den jungen Mann an den Armen und drehte ihn so, dass alle ihn sehen konnten. »Schaut ihn euch an. Der hat genug. Und wenn wir ihn umbringen, wird uns die Rache des Grafen treffen. Das hat euch Bertram schon gesagt.«
Schlagartig sahen sich alle zu dem Töpfer um, der wegen seines lahmen Beins ein Stück zurückgeblieben war. Der nickte zögernd.
»Seht ihr«, rief Hannes. »Wir hatten unseren Spaß, und jetzt sollten wir an morgen denken.«
»Und was ist morgen?« Der Zimmermann maß Bertold, der zitternd in Hannes’ Griff hing, nachdenklich. Plötzlich fragte er sich, was der Graf sehen würde. Er ließ den Zweig fallen und wich ein Stück zurück.
»Morgen bringen wir den Jungen hier zum Grafen. Wir sagen ihm, dass er ein Dieb ist und dass wir ihn bestraft haben. Das ist die reine Wahrheit. Soll der Graf zusehen, was er weiter mit ihm macht.«
»Und wer geht?«, fragte eine Stimme. Auch sie war merklich kleinlauter geworden.
»Ich.« Hannes sah die Männer fragend an. »Einverstanden?«
»Und ich.« Bertram stellte sich neben den Wirt und lächelte ihm zu. »Dann trifft der Zorn des Grafen zwei, nicht nur einen, wenn es dazu kommen sollte.«
Hannes stieß ein Knurren aus. »Das ist also entschieden. Wir brechen morgen früh auf. Und bis dahin sehe ich zu, dass ich diese Elendsgestalt wieder auf die Beine bekomme.« Er musterte Bertold von Kopf bis Fuß. »Glaub nicht, dass ich dich mag, du kleiner Dieb, aber du bist den Ärger nicht wert, verstanden?« Der junge Mann nickte, seine Zähne schlugen aufeinander. Hannes drückte ihm die Hand ins Kreuz und schubste ihn vorwärts.
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