Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
zögern, wenn …«
Karl hob eine Hand. »Ja, ja. Das ist alles richtig. Ich spiele mit dem Feuer. Anna und Montfort haben mir dasselbe geraten. Ihr habt ja Recht. Und sollte ein Wintereinbruch kommen, säße ich hier fest, und Prag wäre ungeschützt. Aber das ist nur meine zweitgrößte Sorge.«
Engelbert stutzte. Was könnte schlimmer sein als der Feind auf dem Hradschin? Fulbach würde als Handlanger der beiden großen Hausmächte alle Adligen umbringen lassen, die Karl treu ergeben waren.
»Meine größte Sorge gilt dem Glauben.« Karl nippte an seinem Becher, dann stellte er ihn langsam und geräuschlos zurück auf den Boden. »Habt Ihr jemals von den ›Hütern der Christenheit‹ gehört?«
Engelbert nickte. Er wusste, dass es eine Gruppe frommer Christen gab, die sich so nannte, aber nicht mehr. Er hatte diese Menschen für harmlos gehalten und sich nicht weiter für sie interessiert.
Karl winkte einem Diener, der herbeieilte, einen Korb Binsen neben Karls Thron abstellte und sofort wieder verschwand. Karl warf einen Blick darauf, aber er rieb sich nur die Hände und ließ die Binsen in Ruhe. »Nun«, sagte er gedehnt, »ich fürchte, dass es nur noch einen Hüter der Christenheit gibt. Besser gesagt, eine Hüterin . Sie bewacht ein Geheimnis, das die Säulen der Christenheit erschüttern könnte.«
Engelbert hob erstaunt die Augenbrauen. War das nicht eine geradezu ketzerische Behauptung? Nichts Menschliches konnte Gott ins Wanken bringen. Gott war allmächtig.
Karl griff eine Binse und zerbrach sie in zwei Teile. »Ich kann nur so viel sagen, dass …«
Aufgeregte Stimmen drangen von der Tür her in den Saal. Karl erhob sich, Engelbert tat es ihm gleich.
Ein Bote wurde vorgelassen, er beugte das Knie und überreichte Karl ein mit Siegeln behängtes Dokument. Engelbert erkannte sofort den Absender: Ludwig V., Sohn Ludwigs des Bayern, der durch seinen Tod im Jahre 1347 Karl den Weg auf den deutschen Thron frei gemacht hatte. Ludwig dürfte keine guten Erinnerungen an Karl haben, denn um seine Herrschaftsansprüche klarzustellen, hatte dieser dem Königreich Bayern einen Besuch abgestattet, bei dem er dem bayerischen Löwen ein paar Zähne gezogen hatte. Der eine oder andere Landstrich hatte zwar leiden müssen, aber es war die richtige Entscheidung gewesen, denn Karls Vorgehen hatte einen unnötigen, möglicherweise sogar langwierigen Krieg verhindert.
Karl entrollte das Pergament und lächelte. »Ludwig erhebt Anspruch auf den Thron. Der Brief ist an Anna gerichtet. Immerhin geben sie uns eine Frist von drei Tagen, um zu beweisen, dass ich noch am Leben bin.« Er warf das Pergament dem Boten zu, der es geschickt auffing, zusammenrollte und verstaute.
Karl griff in den Korb, nahm einige Binsen, zerbrach sie und erhob sich. »Sammelt das Heer! Richtet alles zum Aufbruch! Wir kehren nach Prag zurück, denn der König lebt!«
»Der König lebt«, schallte es durch den Saal, Fäuste reckten sich zur Decke, und sofort begann emsige Betriebsamkeit. Der ganze Hofstaat musste eingepackt und nach Prag transportiert werden. Dutzende Truhen mit Dokumenten, eine Vielzahl Möbel und Schreibpulte. Mehrere Tage würden vergehen, bis alles wieder im Palas der Prager Burg seinen angestammten Platz gefunden hatte.
Engelbert, der sich ebenfalls erhoben hatte, versuchte, Karls Aufmerksamkeit noch einmal auf das unterbrochene Gespräch zurückzulenken. »Mein König, welche Gefahr droht der Christenheit?«
Karl wandte sich Engelbert zu. »Kommt übermorgen nach der Abendmesse zu mir. Zum Festmahl anlässlich des heiligen Weihnachtsfestes. Dann werden wir besprechen, was wir tun können, um die Gefahr abzuwenden.«
***
Der Hirsebrei schmeckte köstlich, auf der Herdstelle prasselte ein Feuer, Tassilo hatte seine Arme über seinem Bauch verschränkt und schien zufrieden. Alberta saß auf einem Schemel und schnitt einen Weißkohl in feine Streifen. Als besonderen Leckerbissen hatte Tassilo Rebekka einige getrocknete Feigen auf den Tisch gelegt. Sie knabberte an den Früchten, genoss die klebrige Süße auf ihrer Zunge und hatte für einige Augenblicke das Gefühl, mitten im Sommer auf einer grünen Wiese zu stehen. Wider Erwarten hatte sie auch in der zweiten Nacht unter Tassilos Dach sehr gut geschlafen, keine Albträume hatten sie vom Lager hochschrecken lassen.
Rebekka hatte Tassilo am Abend ihrer Ankunft überredet, Engelbert erst am nächsten Tag von ihrer Rückkehr zu unterrichten. Sie wollte ihm gestärkt und
Weitere Kostenlose Bücher