Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
ausgeruht unter die Augen treten. Gestern Morgen war Rebekka dann in Begleitung eines Knechts zur Kommende aufgebrochen. Doch Engelbert war gar nicht dort gewesen, niemand konnte ihr sagen, wo er sich aufhielt oder wann er zurückkehren würde. Heute wollte sie es erneut versuchen.
Tassilo erhob sich langsam, lächelte ihr zu und deutete auf die Tür. »Ich denke, wir sollten aufbrechen, Amalie.«
Der Kaufmann hatte Recht. Rebekka stand ebenfalls auf. Sie hoffte, dass Engelbert heute in der Kommende war, denn sie wollte die unangenehme Begegnung endlich hinter sich bringen. Sie legte ihren warmen Mantel an und zog sich zusätzlich noch ihre Pelzmütze über den Kopf.
Auf der Straße schlug der Frost ihr ins Gesicht. Tassilo war mit ihr nach draußen getreten. Heute würde er sie begleiten. Wie am Vortag zogen schwere Schneewolken über den Himmel, die jedoch ihre Fracht offenbar nicht abladen wollten. Schweigend stapften sie durch den Schneematsch über den Altstädter Ring.
Nach einer Weile kam der Dachreiter der Deutschordenskapelle in Sicht, kurz darauf standen sie vor dem Tor der Kommende. Gerade wollte Tassilo klopfen, als das Tor nach innen aufgerissen wurde. Bevor Rebekka reagieren konnte, war Engelbert von der Hardenburg auf sie zugestürmt und hatte sie in seine Arme geschlossen. Ihr blieb fast die Luft weg. Schon der zweite Mann, der sie so überschwänglich willkommen hieß.
»Ihr raubt mir den Atem!«, krächzte sie hilflos.
Sofort ließ von der Hardenburg sie los und trat einen Schritt zurück. Rebekka konnte nicht glauben, was sie sah. Tränen glitzerten in seinen Augen. Er schien sich tatsächlich zu freuen, sie wohlauf zu sehen.
Davon war Rebekka weit entfernt. Sie hatte nicht vergessen, wie er sie hingehalten hatte, und sie traute ihm nach wie vor nicht über den Weg. »Engelbert von der Hardenburg!«, sagte sie. »Leider kann ich Eure Freude über unser Wiedersehen nicht teilen.«
Tassilo begutachtete seine Schuhspitzen und räusperte sich. »Nun, ich denke, es ist an der Zeit, mich zurückzuziehen.« Er warf einen raschen Blick auf von der Hardenburg. »Ich rate Euch dringend, diesmal besser auf Amalie aufzupassen. Sie ist für mich wie eine Tochter. Wehe, wenn ihr etwas zustößt. Dann werdet Ihr mich von einer anderen Seite kennenlernen.«
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Tassilo um und stapfte davon. Rebekka war sich sicher, dass sie in ihm einen wirklichen Freund gefunden hatte. Zumindest solange er nicht wusste, dass sie als Jüdin aufgewachsen war.
»Wollt Ihr nicht erst einmal hereinkommen?« Von der Hardenburg drehte sich zur Seite und wies auf den Hof der Kommende.
Rebekka sah sich um. Die Toreinfahrt war in der Tat kein guter Ort für vertrauliche Gespräche. »Meinetwegen.«
Kurz darauf saßen sie in der Kammer des Ordensritters.
»Ich freue mich aufrichtig, Euch zu sehen, Rebekka.« Engelbert sah sie an. »Ich bitte Euch, erzählt mir, wie es Euch gelungen ist, Eurem Entführer zu entkommen.«
»So wie Ihr es mich gelehrt habt«, erwiderte Rebekka trocken. »Inzwischen hat er sich wohl erholt.«
Engelbert sah sie merkwürdig an.
»Was habt Ihr?«, fragte Rebekka unsicher.
»Vojtech von Pilsen ist tot.«
Rebekka erschrak, öffnete den Mund, schloss ihn wieder. War sie schuld an seinem Tod? Sie hatte ihn in die Hütte eingesperrt, aber für einen Ritter des Königs wäre doch eine verschlossene Tür kein Hindernis!
»Ihr tragt keine Schuld«, sagte Engelbert. »Er hat sich selbst getötet.«
Jetzt war es an Rebekka, ihre Tränen zu unterdrücken.
»Ihr trauert um ihn?«, fragte Engelbert ungläubig. »Er war ein Verräter!«
»Das war er. Und er hätte eine furchtbare Strafe verdient, aber nicht diese. Muss er dafür nicht ins ewige Feuer?«, fragte Rebekka mit belegter Stimme.
»Er wird bis in alle Ewigkeit büßen für das, was er auf Erden verbrochen hat, ja. Es sei denn, Gott hat Erbarmen mit ihm.« Engelbert zögerte. »Wisst Ihr, warum er Euch entführt hat?«
»Ich weiß von seiner Familie«, sagte Rebekka. Sie stockte. »Was ist …?«
»Seine Frau und seine Kinder sind in Sicherheit.«
»Adonai sei Dank!« Rebekka sah, dass Engelbert im Begriff war, etwas hinzuzufügen, es aber doch unterließ. »Wisst Ihr, wer sein Auftraggeber war?«
Engelbert zögerte, dann sagte er: »Ein gewisser Fürstabt Fulbach steckt dahinter, ein erklärter Feind des Königs.«
»Der König hat viele Feinde.« Rebekka runzelte die Stirn. »Doch was wollte dieser Fulbach von
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