Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
dringlicher ist als Karls Sturz. Wir beide gehen nach Prag und werden uns dort ein wenig umschauen. Es wäre doch gelacht, wenn wir diese Amalie Belcredi nicht aufspüren könnten.«
***
Gerade als Rebekka das Tor der Kommende erreichte, begannen die Glocken zu läuten. Für die Christen war heute ein hoher Festtag, der zugleich das Ende der Fastenzeit markierte.
Der Eingang stand offen, deshalb trat sie ein. Alles schien menschenleer und verlassen. Engelbert hatte ihr erklärt, dass seine Brüder alle in der Kirche sein würden, wenn sie käme. Er selbst musste dem Befehl des Königs folgen und war deshalb von seiner Pflicht, die heilige Messe zu besuchen, entbunden.
Rebekka betrat das stille Gebäude und ging zu Engelberts Kammer. Sie klopfte und trat ein. Er war bereits fertig zum Aufbruch, trug einen Mantel über der Ordensrittertracht.
Doch Rebekka war noch nicht bereit aufzubrechen. »Seid gegrüßt, Engelbert von der Hardenburg.«
»Ein frohes Weihnachtsfest, Rebekka. Die Gnade des Herrn sei mit Euch.« Er griff nach seinem Schwert. »Sollen wir aufbrechen?«
»Noch nicht.«
Überrascht hielt er in der Bewegung inne.
»Was ist in Rothenburg geschehen? Erzählt es mir. Dann komme ich mit Euch.« Rebekka hatte sich fest vorgenommen, sich nicht weiter vertrösten zu lassen. Engelbert von der Hardenburg hatte überall seine Augen und Ohren. Sicherlich wusste er längst, was geschehen war. Sie musste es wissen, auch wenn dieses Wissen vermutlich schmerzte.
»Rebekka, ich bitte Euch!« Von der Hardenburg schüttelte den Kopf. »Können wir das nicht später besprechen?«
»Nein.«
»Der König erwartet uns.«
»Dann macht schnell.«
»Ich kann Euch nichts dazu sagen.«
»Dann müsst Ihr mich auf die Burg schleifen. Und ertragen, dass ich schreien werde wie am Spieß. Sicherlich die passende Untermalung für Euer Fest. Der König wird begeistert sein.« Rebekka verzog das Gesicht zu einem bitteren Lächeln.
»Ich weiß nichts.«
»Von überall her im Reich sind inzwischen Nachrichten über Massaker an den Juden bis nach Prag gelangt. Nur nicht aus Rothenburg? Wollt Ihr mir das weismachen? Haltet Ihr mich für so dumm?«
»Nein, natürlich nicht, aber …«
»Aber Ihr fürchtet, dass ich mich weigere, irgendetwas für Euren König zu tun, wenn ich erfahre, dass er die Ermordung meiner Eltern gebilligt hat, ist es nicht so?«
»Nun ja …«, Engelbert wandte den Blick ab.
»Ja?«
»Setzt Euch«, sagte Engelbert grimmig. »Ihr habt es so gewollt.«
Rebekka nahm Platz, blieb jedoch auf der äußersten Kante des Schemels sitzen. In ihrem Bauch begann es zu rumoren.
»Keiner der Rothenburger Juden hat überlebt«, sagte Engelbert leise. »Sie sind in ihren Häusern verbrannt, Frauen, Kinder, Junge, Alte.«
»Sind wirklich alle tot?« Das Rumoren in Rebekkas Magen verdichtete sich zu einem dumpfen Schmerz. Tränen brannten in ihren Augen. Sie musste sich mit aller Kraft zusammenreißen, um nicht laut loszuschreien.
Engelbert schloss kurz die Augen. »Karl war wirklich wütend, als er es erfuhr. Aber er kann schlecht eine ganze Stadt auf den Richtplatz schleifen.«
»Ach nein, kann er das nicht?« Rebekkas Haut schien zu brennen, sie blickte auf ihre Hände. Sie hatte geahnt, dass ihre Eltern tot sein mussten, aber sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Jetzt hatte sie die bittere Gewissheit: Sie waren verbrannt unter furchtbarsten Qualen. Der dumpfe Schmerz in ihrem Bauch verstärkte sich, es schien, als schlüge eine Faust von innen gegen ihren Unterleib. Aber dies war nicht der Moment zu trauern. Sie wischte die Tränen weg, die sich auf ihre Wangen gestohlen hatten, und erhob sich. »Ihr habt Euren Teil der Abmachung erfüllt, ich erfülle den meinen: Lasst uns zum König gehen.«
Von der Hardenburg schwieg einen Moment, dann schürzte er die Lippen. »Seid Ihr Euch sicher?«
»Ja.«
Sie brachen auf. Das Geläut war verklungen, die Nacht war bereits über Prag hereingebrochen. Ein paar einsame Schneeflocken tanzten durch die Gassen. Mit Fackeln war der Weg über die Brücke zur Prager Burg hinauf beleuchtet. Noch immer war der Strom der Menschen nicht versiegt.
Rebekka wurde von dem Ordensritter und von zweien seiner Ritterbrüder eskortiert. Von der Hardenburg hatte ihr erklärt, dass sie ab sofort nur noch mit einer Leibwache das Haus verlassen durfte. Ihr war es recht, denn sie hatte erlebt, mit welcher Niedertracht und Skrupellosigkeit ihre Feinde versuchten, sie zur Strecke zu bringen.
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