Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
zu bewahren. Amen.«
Der alte Jude hustete, röchelte, spuckte Wasser. Fulbach zuckte zusammen. Er hatte den Mann fast vergessen. Was sollte er mit ihm tun?
Fulbach zog sein Messer, setzte es dem Juden an die Kehle, schaute ihm in die Augen. Es war immer wieder erstaunlich. Er hatte schon viele Juden gesehen, die tatsächlich keine Angst vor dem Tod hatten. Dieser schien ihn regelrecht dazu aufzufordern, ihm die Kehle durchzuschneiden. Natürlich! Der Tod war geradezu ein Geschenk für ihn, denn er hatte seine Kumpane verraten. Fulbach zog das Messer zurück. Er würde den Alten einfach mitnehmen, er konnte ihm noch gute Dienste erweisen. Noah ben Solomon war zwar ein elender Jude, aber er war auch Schriftgelehrter und ein Meister der Verschlüsselung.
Fulbach trat ans Fenster und spähte hinaus. Seine Männer warteten auf der Gasse. Er pfiff kurz, sofort huschten sie wie Schatten ins Haus, schlugen den Juden bewusstlos, fesselten und knebelten ihn. Danach stellten sie die Ordnung im Haus wieder her. Glücklicherweise hatte sich niemand sonst darin aufgehalten. Alle sollten denken, Noah ben Solomon sei verreist. Was ja auch stimmte.
***
»Die Schneedecke ist unversehrt, Herr! Niemand lauert uns in Pasovary auf. Der Weg ist frei. Und vor allem ist der Brunnen noch intakt.« Der Ritter verbeugte sich vor Bohumir Hradic und lenkte sein Pferd zurück ans Ende des kleinen Zuges.
Rebekka schloss kurz die Augen. Wenigstens einmal gute Nachrichten. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad, nach einer warmen Stube und einer langen Nacht Schlaf. Seit zehn Tagen waren sie unterwegs. Anders als Vojtech behauptet hatte, lag Pasovary nicht bei Chumetz wenige Meilen östlich der Hauptstadt, sondern mehrere Tagesreisen südwestlich von Prag. Kaum waren sie aufgebrochen, hatte Schneefall eingesetzt. Binnen weniger Stunden lag der Schnee fast kniehoch, zu Fuß war kein Fortkommen mehr, selbst die Pferde mühten sich ab, um nicht ins Straucheln zu kommen. Eine dicke weiße Decke hatte sich über das Land ausgebreitet, sogar in den Wäldern lag tiefer Schnee, sodass sie einige Umwege in Kauf nehmen mussten. Die meiste Zeit war der Himmel grau gewesen, doch wenn die Sonne hervorkam, mussten sie sich die Augen bis auf kleine Schlitze zubinden, um überhaupt noch etwas zu sehen.
Wie durch ein Wunder hatten sie zwei Vorratslager gefunden. Nach vier anderen hatten sie jedoch vergeblich gesucht, ein weiteres war geplündert worden. Mehr als vier oder fünf Stunden am Tag hatten sie nicht reiten können, die Pferde waren schnell erschöpft gewesen. Jeden Tag mussten sie Schnee schmelzen, um die Tiere zu tränken, und für die Feuer wiederum mussten sie halbwegs trockenes Holz sammeln.
Bohumir Hradic war Rebekka nicht von der Seite gewichen. In den langen Stunden, bis sie sich zur Nachtruhe begaben, hatte er sie mit Geschichten von seiner Familie unterhalten und mit Anekdoten aus seiner Zeit als Knappe. Rebekka war ihm unendlich dankbar, dass er versuchte, sie aufzuheitern, auch wenn er die Trauer, die tief in ihrem Inneren festsaß, nicht vertreiben konnte.
Engelbert von der Hardenburg wies auf einen weißen Hügel. »Dahinter liegt Pasovary.« Er beugte sich zu Rebekka hinüber und flüsterte ihr ins Ohr. »Wie gesagt: Es sind nichts als verkohlte Ruinen übrig. Wappnet Euch gegen den Schmerz. Es tut mir aufrichtig leid.«
Er gab das Zeichen zum Aufbruch. Rebekka ritt in der Mitte der Männer, vorsichtig stapften die Pferde durch den Schnee. Vila schnupperte immer wieder an der weißen Pracht, als vermute sie Feinde darunter.
Sie erklommen den Hügel. Als die Reiter vor ihr ein wenig zur Seite wichen, schossen Rebekka die Tränen in die Augen. Obwohl der Schnee einen großen Teil der Ruinen verdeckte, waren die geschwärzten Mauern und die eingestürzten Dächer nicht zu übersehen. Die Tränen liefen ungehemmt über ihre Wangen, ihr Blick verschwamm. Wütend wischte sie die Tropfen weg. Ihre Elternhäuser waren zwar niedergebrannt, aber sie war noch da.
Der Ordensritter wandte sich ihr zu. »Es ist nicht alles zerstört. Der König hat den Auftrag erteilt, im Frühjahr mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Fürstabt Fulbach soll nicht der Triumph vergönnt sein, Pasovary endgültig vernichtet zu haben. Seht ihr den Palas?« Er zeigte auf ein lang gestrecktes Gebäude, dessen Dach verschwunden war. »Dort werden wir uns für unseren Aufenthalt einrichten. Als Erstes tragen wir das zerstörte obere Geschoss ab. Das stabilisiert die
Weitere Kostenlose Bücher