Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
ihn in zwei Teile. Etwas Unangenehmes musste er noch anordnen. Engelbert von der Hardenburg hatte ihn daran erinnert, als er ihn bei seinem Besuch auf Karlstein auf die Quelle in zweihundertvierzig Fuß Tiefe angesprochen und ihn beglückwünscht hatte. Eine unangenehme Angelegenheit. Es gab keine Quelle.
Nachdem die Bergleute monatelang vergeblich gebohrt hatten, hatte er angeordnet, einen Bach umzuleiten, der mit seinem Wasser die Zisterne des Brunnenhauses speiste. Die Bergleute aus Kuttenberg hatten hervorragende Arbeit geleistet und die Zuleitung über eine Achtelmeile durch den harten Fels geschlagen. Wer nicht wusste, wo der Bach abgeleitet wurde, konnte den Ort nicht finden, denn er war durch Felsen verborgen. Der Bach war die einzige Schwachstelle von Karlstein, allerdings eine tödliche. Würde bei einem Angriff der Zulauf abgeschnitten, wäre die Burg verloren und mit ihr der Reliquienschatz und die Reichskleinodien. Das durfte niemals geschehen. Deshalb durfte niemand davon wissen. Absolut niemand.
Karl winkte Montfort zu sich. »Die Bergleute aus Kuttenberg …«
Montfort hob eine Hand. »Sie lagern am Fuß der Burg und sind gut bewacht.«
Karl nickte. »Es ist bedauerlich, dass sie bei einem Überfall von Raubrittern zu Tode kommen werden.« Dem Schutz des Reiches musste alles untergeordnet werden. Die Bergleute waren gute Arbeiter, aber egal, wie viel er ihnen zahlte, er konnte nie sicher sein, dass sie schweigen würden. Waren sie erst aus dem Weg geräumt, gab es nur noch drei Menschen, die wussten, wie Karlstein mit Wasser versorgt wurde. Er selbst, Montfort und der Baumeister, der Karls volles Vertrauen genoss. »Und sorgt für die Angehörigen.«
»Natürlich, mein König.« Montfort machte sich wieder an die Arbeit.
Karl unterdrückte ein Gähnen. Dutzende Dokumente warteten noch darauf, gelesen und ausgewertet zu werden. Schon nahte die Mette, der Tag war verflogen. Gut, dass Montfort ihn ermahnt hatte, nicht dem Müßiggang zu frönen. Noch immer lag ein Stapel Pergamentrollen auf dem Tisch, es schien, als habe er sich in der Höhe nicht verändert. Nahm er ein Dokument herunter, legte Montfort ein neues darauf.
Müde griff Karl nach einem Vertragsentwurf. Anfang Februar wurde er in Bautzen von Pfalzgraf Rupert erwartet, und er hoffte, dort endlich die Aushändigung der Reichskleinodien besiegeln zu können. Eine Liste hatte Karl bereits angefertigt, und wehe, ein Teil fehlte: die Reichskrone, das Reichskreuz, das Zepter, das Reichsschwert, der Reichsapfel, der Krönungsmantel, das Schwert Karls des Großen, die Heilige Lanze, das Krönungsevangeliar, die Alba, das weiße Gewand, die Dalmatica, das liturgische Gewand aus Sizilien, die Stephansbursa und die Kreuzpartikel, die einen besonderen Platz erhalten würden. Dazu das Aspergill zum Verteilen des Weihwassers und natürlich Strümpfe, Schuhe, Handschuhe, das Zeremonienschwert, die Stola und die Adlerdalmatica, ein prachtvolles Gewand aus Damast und schwarzer Seide, bestickt mit goldenen Adlern. Dazu gehörte eine Gugel, die weit genug geschnitten war, um die Krone zu überdecken. Die Gugel galt lange als verschollen, doch Ludwig der Bayer hatte sie in einem Kloster in Süddeutschland entdeckt, wo sie still verehrt worden war. Immerhin etwas, wozu der Bayer getaugt hatte.
Karl rieb sich die Augen, es war Zeit, zur Mette zu gehen. Danach würde er sich zur Ruhe begeben. Morgen wartete ein neuer anstrengender Tag auf ihn.
Es dauerte nicht lange, bis Karl eingeschlafen war. Doch schon bald rüttelte ihn jemand an der Schulter. Er öffnete die Augen. Vor ihm stand ein hochgewachsener Mann, der ihn streng ansah. Karl kannte den Mann nicht, er wollte zu seinem Schwert greifen, doch der Fremde hielt seine Arme fest. Wo war die Leibwache? Was geschah hier? War das ein Traum? Karl schaute sich hektisch um. Überall im Raum lagen tote Brieftauben, denen das rechte Bein abgeschnitten worden war. Der Mann ließ seine Arme los, Karl fragte ihn, was er wolle.
»Du musst achtsam sein, Karl!«, sagte der Mann. »Deine Feinde sind ihr auf der Spur. Die heiligste aller Reliquien darf nicht verloren gehen! Und vergiss nie: Sie ist dazu bestimmt, von dir verwahrt zu werden, zum Schutze der Christenheit.«
»Tue ich denn nicht alles, was möglich ist?«, fragte Karl. Ihm fiel ein, dass er noch immer keine Nachricht von Engelbert hatte. Was mochte in Pasovary geschehen sein?
Der Mann verschwand, ohne zu antworten. Zurück blieb ein kalter Luftzug, der
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