Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Juden gegeben, damit wir uns nicht versündigen müssen. Sie nehmen unsere Schuld auf sich.«
»So habe ich das noch nie gesehen.« Dietz kratzte sich am Kopf. »Du bist oft bei ihnen. Das ist mir nicht entgangen.« Er hob die Handflächen. »Das ist kein Problem für mich.« Er überlegte kurz. »Wie soll ich es sagen? Ich mag die Juden nicht, aber ich hasse sie auch nicht. Solange sie ihre Steuern zahlen und uns in Ruhe lassen, ist alles in Ordnung. Und die ganzen Ammenmärchen glaube ich sowieso nicht.«
Johann lächelte. »Soll ich also in deinem Namen bei ihnen vorsprechen?«
»Aber unter einer Bedingung!« Dietz schaute Johann direkt in die Augen. »Du bekommst die Hälfte von allem, was ich dadurch verdiene. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihre Freunde melken wie eine Ziege.«
Johann musste grinsen. »Das sind harte Bedingungen, aber ich bin damit einverstanden.«
Dietz hielt seine Hand hin, Johann schlug ein. Unwillkürlich überschlug er im Kopf seinen Anteil. Wenn das Geschäft gelang, würden für ihn ein- bis zweihundert Pfund Silber dabei herausspringen. Eine stattliche Summe. Eine gute Grundlage, um ein eigenes Geschäft aufzubauen. »Dann breche ich jetzt auf. Heute ist Purim, und bin bei einem der reichsten Juden Prags eingeladen. Er ist einer der Großen im Zinsgeschäft, vor allem ist er einer der Zuverlässigen. Bei ihm ist dein Geld sicher.«
Dietz verzog das Gesicht. »Dann wünsche ich dir eine gute Hand, mein Freund.«
Johann hüllte sich in seinen Mantel und nahm die zwei Säcke, in denen er die Geschenke für Schmul und seine Familie verstaut hatte. Er hoffte, dass ihnen gefiel, was er zusammengetragen hatte. Falls nicht, würden sie sich nichts anmerken lassen. Sie wussten, dass er Christ war und ihre Regeln nicht so gut kannte, und verziehen ihm alles, meistens unter großem Gelächter und mit einem weisen Spruch auf den Lippen.
Nach seinem ersten Besuch, bei dem er noch recht schroff behandelt worden war, hatte er sich nicht entmutigen lassen und war wie vereinbart am nächsten Tag wiedergekommen. Allerdings hatte er nichts erfahren, sondern war zum Essen eingeladen worden. Sie wollten ihm auf den Zahn fühlen, keine Frage. Sie misstrauten ihm, auch wenn sie so liebenswürdig waren, als wäre er ein Freund der Familie. Er schloss sie schnell ins Herz. Bei ihnen dauerte es länger.
Inzwischen hatten sie ihn jedoch gleichsam in die Familie aufgenommen. Auch wenn sie nach wie vor nichts über Rebekkas Schicksal wussten oder es zumindest behaupteten, besuchte er sie gern und häufig.
Die Sonne stand am Himmel, aber sie konnte gegen den eisigen Nordwind nichts ausrichten. Der Schnee knirschte unter Johanns Füßen. Unterwegs begegnete er zwei Bettlern, denen er ein großzügiges Almosen gab, denn so war es Brauch zu Purim.
Er klopfte, Schmul öffnete und bat ihn herein. Die ganze Familie war anwesend. Johann hatte Mühe, sich die Namen zu merken, es waren einfach zu viele. Als es dämmerte, gingen sie gemeinsam ins Tanzhaus. Die Synagoge war zu klein, denn die ganze jüdische Gemeinde von Prag und viele Juden aus der ganzen Gegend waren zusammengeströmt, um Purim zu feiern.
Es war an der Zeit, seine Geschenke zu verteilen. Er öffnete den ersten Sack: Würste, geräuchertes Geflügel und andere Leckereien kamen zum Vorschein. Bevor er alles verteilte, bemerkte er nebenbei im Scherz, die Preise bei den jüdischen Fleischern seien zu Purim wirklich an der Grenze zum Wucher. Alle Umstehenden lachten, denn zum einen war das kein Witz, und zum anderen wussten sie jetzt, dass alles koscher war und sie es essen konnten. Der zweite Sack war vollgepackt mit Süßigkeiten aller Art. Auch diese hatte er bei einem jüdischen Bäcker erstanden. Die Kinder brachen in hellen Jubel aus.
Schmul und seine Frau bedankten sich überschwänglich. Nur mit Mühe konnten sie die Kinder davon abhalten, die Kuchen, das Gebäck und vor allem das sündhaft teure Marzipan schon jetzt zu vertilgen. Das Marzipan, ein Gedicht aus Rosenöl, Mandeln und Zucker, hatte Johann bei einem jüdischen Apotheker gekauft. Wie in Rothenburg fertigten auch in Prag die Apotheker die Süßwaren. Manche verdienten damit mehr als mit ihren Tinkturen. Marzipan galt als Medizin gegen Verstopfung und Blähungen, aber Johann wusste, dass die Adligen es vor allem als Leckerei liebten und weil es angeblich die Kraft der Lenden stärkte.
Eine Glocke erklang, das Fest begann. Der Oberrabbiner Prags begann, das Buch Ester zu
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