Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Streithammel ignoriert. »Es gäbe noch eine zweite Erklärung«, setzte sie ihre Überlegungen fort. »Die Reliquie wurde nicht vernichtet, weil sie nicht vernichtet werden darf. Weil sie …« Rebekka suchte nach Worten. »… eine Kraft oder die Quelle einer Kraft ist, die die Welt zusammenhält. Wir sollen sie nicht finden, weil sie zu mächtig ist, weil sie in Menschenhand so oder so nur Schaden anrichten kann. Vielleicht war genau das Aufgabe der Hüter der Christenheit: die Reliquie so gut zu verstecken, dass niemand sie je finden kann.«
Sie hatten noch eine Weile weiterdebattiert, doch das Gefühl, versagt zu haben, ließ sich nicht vertreiben. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als dem König ihre Niederlage zu gestehen. Rebekka graute es vor diesem Moment. Mehr noch aber graute ihr davor, wie Engelbert damit umgehen würde. Er hatte den Auftrag, Amalie Belcredi zu finden. Was, wenn er beschloss, statt der Reliquie Rebekka zu präsentieren und zu behaupten, er habe erst kürzlich herausgefunden, wer sie in Wirklichkeit war? Würde er das tun, um seinen Kopf zu retten?
Rebekka wusste es nicht. Er hatte ihr die Treue geschworen, doch sie hatte keine Ahnung, wie viel sein Eid wert war.
Sie nahm ihr Bündel und trat auf den Hof. Trotz der strahlenden Morgensonne war die Stimmung gedrückt. Die Männer waren dabei, die Pferde zu satteln und einen Wagen zu beladen. Sie hatten es nicht eilig, also konnten sie es sich leisten, mit einem langsamen Fuhrwerk zu reisen, das Rebekka auch als Nachtlager dienen würde.
Engelbert von der Hardenburg und Matyas Romerskirch schlichen umeinander herum wie zwei Raubtiere, die die Kräfte des jeweils anderen abzuschätzen versuchten. Es lag Streit in der Luft. In den letzten Wochen waren von der Hardenburg und Romerskirch ständig aneinandergeraten, und einmal hatte der Spion des Königs sogar das Schwert gezogen. Von der Hardenburg hatte nur gelacht. Rebekka hatte ein paar Wimpernschläge gebraucht, um den Grund zu erkennen: Engelberts Männer hatten den Hitzkopf Romerskirch die ganze Zeit im Visier ihrer Armbrüste gehabt. Noch bevor er das Schwert zum Schlag erhoben hätte, wäre er tot gewesen. Immerhin war Romerskirch von da an schlau genug gewesen, sich zurückzuhalten. Aber er hatte ständig etwas auszusetzen, an allem und jedem. Seine dauerhaft schlechte Laune war so lästig wie ein Splitter im Finger, zumal er keine Gelegenheit verstreichen ließ, Rebekka mit geringschätzigen Kommentaren zu bedenken.
Sie blickte sich um. Wie sehr sich die Burg in den letzten Wochen verändert hatte! Der Schutt der eingestürzten Mauern war fortgeräumt worden, nur die beiden baufälligen Häuser standen noch. Sie sollten erst später eingerissen und neu aufgebaut werden. Sie hatten provisorische Ställe eingerichtet, eine Küche, einen Abtritt, eine Tischlerei und sogar eine Schmiede. Von der Hardenburg hatte einen Verwalter eingesetzt, der den Wiederaufbau beaufsichtigen würde.
Vila wartete neben dem Wagen. Sie war sichtlich nervös, aber das lag nicht nur an der Aufbruchsstimmung, sondern vor allem an zwei Hengsten, die gerade aus dem Stall geführt wurden. Der eine gehörte Matyas Romerskirch, der andere Bohumir. Den Winter über waren die Stuten glücklicherweise nicht rossig geworden, aber das warme Wetter setzte nicht nur in den Bäumen die Säfte in Gang. Noch war der Höhepunkt bei Vila nicht erreicht, aber es konnte nicht mehr lange dauern.
Romerskirchs Hengst stellte die Ohren auf und scharrte mit den Hufen, als Rebekka Vila an ihm vorbeiführte, die laut wieherte und ihr Gebiss zeigte.
»Wie der Herr, so das Gescherr«, grantelte Romerskirch.
»Den Eindruck habe ich auch, Romerskirch, wenn ich Euren Hengst so betrachte. Er ist ja kaum zu bändigen, der Geifer läuft ihm schon vom Maul.« Bohumir tätschelte seinen Hengst, der zwar die Ohren ebenfalls aufgestellt hatte, ansonsten aber stillhielt.
Bevor der Disput außer Kontrolle geraten konnte, ging Engelbert dazwischen. »Ruhe jetzt, verdammt nochmal! Schafft die Hengste vom Hof! Und eins sage ich Euch: Wenn Ihr Eure Gäule nicht im Griff habt, dann werde ich sie eigenhändig kastrieren, ist das klar?«
Romerskirch spuckte aus, wandte sich um und wollte losgehen, aber sein Hengst stieg, riss ihm die Zügel aus der Hand und stürzte auf Vila zu, die ebenfalls versuchte, sich loszureißen. Doch Rebekka hielt sie eisern fest.
Von der Hardenburg und zwei Männer stellten sich dem Hengst entgegen, der wie ein
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