Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
können, denn wir sind entdeckt, und der Feind ist bereits vor den Mauern. Übergib die Reliquie König Johann oder seinem Sohn Wenzel, niemandem außer ihnen darfst du vertrauen. Das ist der heilige Eid, den wir geschworen haben und der nun auf dich übergegangen ist.
Wir selbst wissen nicht, wo die Reliquie verborgen ist, es ist uns verboten, das Geheimnis zu entschlüsseln, damit wir es nicht unter der Folter verraten können. Wir haben lediglich den Schlüssel zum Versteck aufbewahrt. Amalie, Gott möge dir alle Zeit deines Lebens beistehen, und die Offenbarung des Schwächsten soll dich leiten. Und wenn ein Riss dein Leben zu trennen scheint, dann bedenke: Erst wenn beide Seiten zusammengefügt sind, kannst du die Wahrheit erkennen, die vor deinen Augen schwebt wie welkes Laub.
Es folgte eine Reihe Zahlen, die Ziffern deutlich voneinander getrennt. VII. III. II. III. VII. II. VII. V. II. VI. IV. III …
Nichts weiter.
Rebekka ließ das Pergament sinken. »Warum bürden sie ihrer Tochter das auf?«, fragte sie in die Luft.
»Das ist der zweite Teil des Schlüssels!«, rief Bohumir aufgeregt. Und die Zahlenreihe zeigt uns an, an welcher Stelle wir unsere Folge von Ziffern trennen müssen, damit wir die korrekten Zahlen herausbekommen.«
»Ihr habt Recht!« Von der Hardenburg breitete die Ziffernkolonne aus.
LXXXVIICIXIVCLVLXXXVIICXLXXXVIICXLVIXICCXVIIXCIV …
Bohumir nannte ihm die Zahlen aus dem Brief. Erst eine Sieben. Der Ordensritter machte einen Punkt hinter die ersten sieben Ziffern. Dann hinter die nächsten drei. Ein weiterer Punkt nach zwei Ziffern. Nach und nach markierte von der Hardenburg mit Punkten, wo eine Zahl endete.
LXXXVII.CIX.IV.CLV.LXXXVII.CX.LXXXVII …
Doch in der Mitte der Kolonne endeten Bohumirs Zahlen. Es waren zu wenige. Oder die letzte Zahl der Botschaft war ungeheuer groß. Außerdem fehlte noch immer der Text, mit dessen Hilfe sie die Zahlen in Buchstaben umwandeln mussten.
»Vielleicht ist es der Brief selbst?«, schlug Bohumir vor.
»Das glaube ich nicht.« Engelbert kratzte sich am Kopf.
»Hat Noah ben Solomon nicht gesagt, dass es sich um eine Stelle aus der Bibel handeln muss?«, fragte Rebekka. »Dann muss es die Offenbarung des Johannes sein. Das Buch mit den sieben Siegeln.« Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern griff in ihr Bündel und holte ihre Bibel hervor. »Der Schwächste, damit ist David gemeint, der gegen Goliath kämpfte und sich als der Stärkere erwies, weil er seinen Verstand einsetzte und fest an Gott glaubte.«
Von der Hardenburg sah sie an. »Natürlich! So muss es sein! Denn dort heißt es: ›Weine nicht! Siehe, es hat gesiegt der Löwe aus dem Stamm Juda, dessen Wurzel David ist, um das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen.‹«
Rebekka schlug die Seite auf und tippte auf die ersten Worte der Offenbarung. Et vidi in dextera sedentis …
Fieberhaft begannen sie, die Buchstaben des lateinischen Textes zu zählen und die Ergebnisse zu notieren. Das »a« kam hundertneunmal vor, das »b« neunzehnmal, das »c« sechsundfünfzigmal. Schließlich hatten sie für jeden Buchstaben eine Zahl. Mehrfach wurden sie von dem Verwalter unterbrochen, der wissen wollte, was er mit dem Loch im Hof, den Tierkadavern und dem Leichnam in der Kapelle anstellen sollte. Die Ritter fragten, wann sie denn nun aufbrechen würden. Und Matyas kam ständig in den Palas geschlichen, obwohl Engelbert ihm befohlen hatte, Ersatz für den Wagen zu organisieren.
Endlich konnten sie die Buchstaben über die Zahlen in dem Code schreiben, zumindest bis zu der Stelle, wo die Trennpunkte endeten.
MAXIMUM
LXXXVII.CIX.IV.CLV.LXXXVII.CX.LXXXVII
Die Buchstaben ergaben tatsächlich vernünftige lateinische Wörter. Maximum thesaurum nostrum , so begann der Satz: Unseren größten Schatz. Doch er brach vor der entscheidenden Information ab.
Unseren größten Schatz hütet der heilige Georg eigenhändig in …
Hier endeten die Trennpunkte. Irgendwo musste der Schlüssel verborgen sein, mit dessen Hilfe man die zweite Hälfte der Ziffern trennen konnte. Aber wo?
Rebekka nahm die Bibel in die Hand, blätterte darin und wiederholte stumm die Worte, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte. »Wenn ein Riss … wenn beide Seiten … Wahrheit erkennen … vor deinen Augen … wie welkes Laub …«
Was sah sie nicht? Wenn ein Riss … Sie glitt mit den Fingerspitzen über eine Seite, blieb an einer Naht hängen. Eine der Seiten, die eingerissen und wieder zusammengefügt worden
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