Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
verschwunden. Und die Reliquie ist vermutlich vernichtet.«
Karl beugte sich nach unten und nahm ein Bündel Binsen aus einem Korb. Ein Rohr nach dem anderen zerbrach er mit der Hand, sie knackten wie Knochen. Engelbert fühlte sich zunehmend wie eins der Binsenrohre. Leicht zu brechen für einen König.
»Weiter«, grollte Karl.
»Es kommt noch schlimmer.«
»Was kann noch schlimmer sein, als seinen König zu belügen?«, brüllte Karl.
Engelbert zuckte zusammen. »Matyas Romerskirch …«
»Er ist tot, ich weiß, diese Räuberbanden sind eine Seuche.« Karl stutzte, als er Engelberts Gesicht sah. »Es waren keine Räuber!« Er warf die Binsen nach Engelbert.
Dieser versuchte nicht, sich zu schützen. Raschelnd fielen sie zu Boden.
»Euer Sündenregister ist wahrlich länger als die Liste unserer Schuldner. Sprecht!«
»Er hat erkannt, dass Amalie Belcredi«, Engelbert verschluckte sich, »dass sie eine Jüdin ist.«
»Eine Jüdin? Ihr macht Scherze. Die Belcredis hatten nie etwas mit Juden zu schaffen.«
»Sie wurde als Säugling vor der Tür eines jüdischen Hauses abgelegt. Vielleicht eine Verwechselung. Jedenfalls wuchs sie in der jüdischen Gemeinde in Rothenburg auf.«
Der erwartete Zornesausbruch blieb aus. Stattdessen brach Karl in lautes Gelächter aus, das abrupt endete. »Nun, wenn das alles ist! Die letzte Hüterin der Christenheit eine Jüdin!« Sein Gesicht entspannte sich. »Warum nicht? Jesus Christus, der Sohn Gottes, war schließlich auch Jude.«
Karl kratzte sich am Kinn, lief einige Schritte in die eine, dann in die andere Richtung, blieb vor Engelbert stehen. »Was ist mit Matyas geschehen? Wer hat ihn getötet?«
»Er wollte Amalie ans Messer liefern. Ich wollte verhindern, dass er etwas Unüberlegtes tut.«
»Dieser Hitzkopf, verdammt.« Karl blickte Engelbert in die Augen. »Matyas sah in der letzten Zeit überall Verschwörungen. Und er verdächtigte Amalie von Anfang an. Zu Recht, wie wir nun wissen. Er hatte einen guten Riecher. Nun gut, nehmen wir an, es war tatsächlich Notwehr.«
»Hätte er mich nicht angegriffen …«
Karl winkte ab. »Genug davon! Was geschah in der Kapelle?«
»Fulbachs Männer drangen ein, wir kämpften verbissen, ich wusste, dass wir dieser Übermacht nicht lange standhalten konnten. Amalie hatte die Reliquie gefunden, es war eine Schriftrolle, Papyrus, wenn ich es richtig gesehen habe. Und dann hat sie sie verbrannt. Ich selbst hatte ihr den Auftrag erteilt, sie zu vernichten, wenn unsere Niederlage abzusehen wäre. Ich wollte verhindern, dass sie in die Hände des Feindes fällt. Wo Amalie jetzt ist, weiß ich nicht.« Engelbert schlug das Kreuz.
»Der heilige Georg selbst, so hörten wir unsere Männer sagen, hat sie davongetragen. Auf einem weißen Pferd, in wehendem weißen Umhang und das Haar flatternd im Wind. Er konnte den Ring durchbrechen, bevor er geschlossen war, und niemand hat ihn verfolgt, weil alle gebannt von seinem Anblick waren.« Karls Mundwinkel zuckten. »Ein Wunder? Vielleicht.« Er rieb sich die Augen. »Nun, Engelbert von der Hardenburg, was haltet Ihr für eine angemessene Strafe für Eure Verfehlungen?«
»Was immer Ihr für richtig haltet, mein König.«
Karl schnaubte. »Natürlich. Was sonst könntet Ihr schon sagen!«
Engelbert hob die Hand. »Eines muss ich noch loswerden, Herr, dann übergebt mich meinetwegen dem Scharfrichter.«
Karl verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich höre.«
»Amalie Belcredi hat eine besondere Gabe. Was immer sie betrachtet, gräbt sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis ein.«
Karls Miene hellte sich auf. »Montfort hat mir davon erzählt.« Er kniff die Augen zusammen. »Das heißt, wenn sie die Schriftrolle angesehen hat, kennt sie den Inhalt?«
Engelbert nickte. »Sie ist nun der einzige Mensch auf der Welt, der das Geheimnis der Reliquie kennt.«
Karl drückte sein Kreuz durch. »Engelbert von der Hardenburg, hört unser Urteil. Ihr werdet von nun an nicht eher ruhen, bis Ihr Amalie Belcredi oder wie auch immer sie heißen mag, gefunden habt. Ist ein Jahr vergangen und es ist Euch nicht gelungen, sie aufzuspüren, so erkläre ich Euch für vogelfrei. Bis dahin gelten weiterhin Eure Privilegien. Nehmt Ihr das Urteil an?«
Engelbert traute seinen Ohren nicht. Das war fast eine Begnadigung. »Herr, ich nehme das Urteil an und danke Euch untertänigst für Eure Gnade.«
Karl schürzte die Lippen. »Verdient sie Euch, indem Ihr diese Frau findet und aus ihrem Kopf
Weitere Kostenlose Bücher