Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
jenem Abend nicht so betrunken …«
»Schweig! Gott hat es so gefügt. Sonst wärest du in der Nacht vielleicht selbst gestorben, ermordet von deinen eigenen Glaubensbrüdern.« Sie stieg auf das Pferd. »Ich werde morgen nach Avignon aufbrechen, und wenn du mir Geld leihen kannst, dann nehme ich es gern an.«
***
Die Nürnberger Burg kam in Sicht, und mit ihr die Stadtmauern, Türme und Tore. Engelbert spürte ein Ziehen in seinem Magen. Er hatte sich für den Weg so viel Zeit gelassen, wie nur eben vertretbar war, doch nun musste er sich dem stellen, was ihn in der Stadt erwartete.
Gestern nach der Schlacht hatte Montfort ihn zu sich kommen lassen. Karl war zu diesem Zeitpunkt schon nach Nürnberg zurückgekehrt.
»Habt Ihr, was er begehrt?«
Engelbert hatte den Kopf geschüttelt. »Weder Amalie Belcredi noch die Reliquie.«
»Das ist nicht gut«, hatte Montfort gesagt. »Aber wir haben Grund zu hoffen, dass nicht alles verloren ist, denn uns ist ein Wunder zuteilgeworden. Einige Männer haben übereinstimmend berichtet, dass der heilige Georg eine Frau aus der Kapelle gerettet habe. Sein weißer Umhang ist gesehen worden, und es heißt, er sei auf einem weißen Pferd geritten, so wie er es immer tut, wenn er Wunder wirkt.«
Engelbert senkte den Kopf. Wenn das stimmte, dann brauchten sie sich keine Gedanken mehr zu machen, dann war alles gut, dann hatte Gott selbst Rebekka und die Reliquie eingefordert. »Das lässt allerdings hoffen, zumal die Feinde besiegt sind und ihre Verschwörung aufgedeckt wurde.«
»Das mag sein«, hatte Montfort bestätigt. »Dennoch bleiben eine Reihe Fragen offen. Fragen, die der König gern beantwortet hätte.« Montfort war auf sein Pferd gestiegen. »Morgen. In Nürnberg.« Mit diesen Worten war er davongeprescht.
Engelbert war hin und hergerissen zwischen Angst und Zuversicht. Die Tatsache, dass man ihn nicht in Ketten gelegt, ihm nicht einmal Männer der Leibgarde zur Seite gestellt hatte, um ihn nach Nürnberg zu eskortieren, machte ihm Hoffnung. Andererseits konnte das auch eine Prüfung sein. Womöglich wurde er beobachtet.
Engelbert passierte das Spitaltor und hielt sich links, bewegte sich auf die Pegnitzbrücke zu. Hunderte Menschen wimmelten durch die Gassen und auf den Plätzen. Trotz der Ordensrittertracht machten sie ihm nur zögerlich Platz. Die ganze Stadt schien zu vibrieren. Kein Wunder. Der König residierte in der Burg, und weitere Machthaber wurden zum Reichstag erwartet.
Am anderen Ufer sah Engelbert, dass einige Häuser im jüdischen Viertel abgerissen worden waren. Engelberts Gedanken schossen zu Aaron ben Levi, dem Freund, den er noch vor wenigen Monaten aufgesucht hatte, um ihm die falsche Reliquie zu zeigen. Er wagte nicht zu hoffen, dass der jüdische Arzt unter denen war, die dem Morden entkommen waren. Auch die Synagoge stand nicht mehr. An ihrer Stelle waren bereits die Grundmauern der neuen Kirche gelegt. Sie hatten es eilig, die Nürnberger, das Feld ihrer Schande mit Steinen zu bedecken.
Engelbert musste an Rebekka denken. Sie war nicht in der Kapelle gefunden worden, weder lebendig noch tot. Ob sie wirklich vom heiligen Georg errettet worden war?
Es ging bergan zur Burg. Engelbert ritt in den Hof. Die Hufe seines Pferdes klapperten über das Pflaster. Schweren Herzens saß er ab.
Vier Mann der Leibwache geleiteten Engelbert in Karls privaten Audienzraum, nahmen ihm seine Waffen ab und ließen ihn dann allein.
Engelbert blieb mitten im Raum stehen. Er wollte noch einmal überdenken, was er Karl sagen sollte, doch seine Gedanken ließen sich nicht bändigen. Er war auf eine längere Wartezeit eingerichtet, aber schon nach wenigen Augenblicken trat Karl durch den hinteren Eingang. Seine Miene war nicht zu deuten.
Engelbert kniete nieder. »Mein König …«
»Erhebt Euch und berichtet, ohne irgendetwas auszulassen. Und fasst Euch kurz. Wir haben nicht viel Zeit.«
Engelbert erhob sich, Karl stand etwa zehn Fuß von ihm entfernt und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Waren sie allein im Raum?
»Herr, es gibt Dinge, die nur für unsere Ohren bestimmt sind.«
Karl hob eine Augenbraue. »Ihr könnt frei sprechen.«
»Herr, ich muss Euch gestehen, dass die Frau, die ich Euch als Amalie Severin vorstellte, in Wirklichkeit Amalie Belcredi ist. Ich wusste es von Anfang an. Allerdings wusste ich nicht, welche Bedeutung sie für Euch hat – und für die gesamte Christenheit.«
Karl rührte sich nicht. »Was noch?«
»Sie ist
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