Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
durcheinander. Der Lärm und das Gewirr von Farben und Gerüchen ließen Rebekka schwindeln. Niemals hatte sie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen, nicht einmal, wenn in Rothenburg Gericht gehalten wurde. Ein Krämer pries lautstark eine Wundersalbe an, seine Stimme wurde übertönt vom Lachen einiger Ritter, die um ein Feuer saßen, vom Klirren der Schwerter und vom Donnern eines Schmiedehammers ganz in Rebekkas Nähe. Menschen liefen durcheinander, bahnten sich mühsam einen Weg durch die Zeltstadt der Söldner, doch alle schienen genau zu wissen, wohin ihr Weg sie führte. Alle bis auf sie.
Beklommen ging Rebekka an den Zelten und Unterständen vorüber. Ängstlich musterte sie die Ritter. Sie wagte nicht, den fremden Männern länger in die Augen zu sehen. Die meisten neigten leicht den Kopf, wenn ihre Blicke sich begegneten, denn sie war gekleidet wie eine vornehme Christin. Manche allerdings schienen auch davor keinen Respekt zu haben.
»Na, du Hübsche? Suchst du ein bisschen Spaß?«, rief ihr einer der Männer zu. »Komm her. Ich zeige dir mein Schwert. Es ist groß und scharf und brennt darauf, zum Einsatz zu kommen!«
Entsetzt lief Rebekka weiter. Niemals würde sie einen dieser Männer zu ihrem Schutz in Dienst nehmen.
Mit dem Strom der Menschen eilte sie die steile Straße hinauf, bis endlich das Burgtor in Sicht kam. Die Zugbrücke war heruntergelassen, ein Dutzend Soldaten, schwer bewaffnet und grimmig dreinblickend, flankierte den Eingang, der allenfalls breit genug für einen schmalen Karren war. Auf den Wehrgängen patrouillierten weitere Soldaten, die Armbrüste kampfbereit gespannt. Hier kam niemand herein, der nicht erwünscht war.
Eine kleine Traube von Menschen unterschiedlicher Herkunft bemühte sich darum, dass ihnen Einlass gewährt wurde. Die meisten wurden weggeschickt, oft mit groben Stübern, manchmal unter Gelächter.
Mit einem Mal hörte Rebekka hinter sich Geschrei. Reiter stoben durch die Menschenmenge. Mit Mühe schaffte sie es, den Pferden auszuweichen, die von den Männern auf ihrem Rücken ohne Rücksicht angetrieben wurden. Die Wachen stießen alle zur Seite, die im Wege waren, und schon donnerten die Hufe über die schweren Bohlen der Brücke und verschwanden im Inneren der Burganlage. Der Spuk war so schnell vorüber, wie er gekommen war. Die Menge schloss sich wieder, und Rebekka wurde immer näher zum Tor geschoben, bis sie schließlich vor einem Wachmann mit unbeweglicher Miene stand.
Er sprach sie an, sie verstand kein Wort, aber er wollte sicherlich wissen, was ihr Anliegen war.
»Zum König«, stammelte Rebekka die zwei Worte Tschechisch, die von der Hardenburg ihr beigebracht hatte. Nervös tastete sie nach dem Lederbeutel, den der Ordensritter ihr anvertraut hatte, dann nach ihrem Mantelärmel, in dem eine kleine Rolle Pergament steckte. Die Anschrift des Kaufmanns Tassilo Severin, ihres angeblichen Onkels. Eine weitere Lüge, ein weiterer Name, der sich unvermittelt in ihr Leben gedrängt hatte. Amalie Severin. Hoffentlich tat sie gut daran, Engelbert von der Hardenburg zu vertrauen!
Der Wachmann musterte sie von oben bis unten. Er hatte laubgrüne Augen und eine Narbe über der Oberlippe, die ihn aussehen ließ, als wäre sein Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen verzogen. Er sagte etwas Unverständliches, das alle Umstehenden zum Lachen brachte. Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Schnell zog sie das Schreiben aus dem Beutel und einen Ring, den der Ordensritter ihr ebenfalls mitgegeben hatte.
Der Wachmann schüttelte den Kopf.
Aber er musste doch den Ring erkennen, er musste doch das Schreiben lesen!
Der Wachmann winkte sie fort, aber Rebekka blieb einfach stehen. So leicht würde sie nicht aufgeben. Von hinten drängelten die Leute, fluchten, manches verstand sie, denn einige Menschen hier sprachen Deutsch. Der Wachmann fasste sie am Arm, sie bekam es mit der Angst zu tun und begann zu kreischen, als hätte er ihr ein Messer in den Leib gerammt. Er zuckte erschrocken zurück. Rebekka hielt ihm wieder den Ring und das Pergament hin. Wieder lachten die Leute, ein anderer Soldat sagte etwas, zeigte auf Rebekka.
Der Wachmann zuckte mit den Achseln, griff nach dem Ring, betrachtete ihn genauer und wurde blass. Er schnappte sich das Dokument, überflog den Inhalt und verlor noch mehr Farbe. Er bellte den anderen Männern etwas zu, verbeugte sich vor Rebekka und zeigte mit der rechten Hand auf den Durchgang. Sie straffte die Schultern und folgte zwei
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