Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Schritten eilte der Bischof durch den Thronsaal, Rebekka blickte verstohlen zur Seite und bemerkte die neugierigen Blicke der Edlen, die jetzt schwiegen. Schnell schaute sie wieder auf den Rücken des Bischofs.
Während sie dem Gottesmann folgte, senkte sich mit einem Mal die ganze Last der Begegnung auf sie, die ihr bevorstand. Bisher hatte sie sich nicht erlaubt, daran zu denken, doch nun ließ sich der Gedanke nicht mehr fortschieben. Gleich würde sie dem Mann gegenüberstehen, der ihr Volk so schändlich verraten hatte. Adonai! Was tust du nur, Rebekka? Warum hast du nicht einfach die Stadt verlassen? Oder wenigstens ein Messer mitgenommen, um es diesem feigen Mörder in den Leib zu rammen?
Rebekka erschauderte. Selbst wenn Karl ihre Eltern mit seinen eigenen Händen getötet hätte, wäre es eine Sünde, es ihm gleichzutun. Sie wollte ihre Hände nicht mit Blut besudeln. Und erst recht nicht das Andenken an ihre geliebten Eltern, die vielleicht noch lebten und irgendwo hier in Prag auf sie warteten. Gott war gerecht, König Karl würde zur Rechenschaft gezogen werden für seinen gemeinen Verrat, doch nicht von ihr. Auf sie wartete eine andere Aufgabe.
***
Karl las Engelberts Brief noch einmal. Warum nannte der Ordensritter den Namen der Frau nicht? Was sollte diese Geheimniskrämerei? Er fuhr sich mit der Hand über den Bart. Vielleicht wollte Engelbert sichergehen, dass kein Unbefugter ihren Namen erfuhr. Ja, das ergäbe Sinn. Der Ordensmann schien jedenfalls viel von ihr zu halten. Karl faltete das Schreiben zusammen und schob es sich in den Ärmel. Nun, er würde sich auf der Stelle davon überzeugen, was von Engelberts Lobpreisungen zu halten war. Engelbert hatte ihm empfohlen, die Frau nicht im Thronsaal unter den Augen des halben Hofstaates zu empfangen, sondern allein mit ihr zu sprechen.
»Mein König!«, hatte er geschrieben. »Prüft diese Frau, ob sie geeignet ist, unser Problem in Znaim zu lösen. Ich jedenfalls bin davon überzeugt!«
Karl wusste um das gute Urteilsvermögen des Ordensritters, also hatte er Montfort geschickt, die Frau zu holen. Znaim war in der Tat ein Ärgernis, das dringend aus der Welt geschafft werden musste.
Es klopfte.
»Tretet ein, sofern Ihr keine schlechten Nachrichten habt«, rief Karl aufgeräumt.
Montfort betrat die Schreibstube, ihm folgte eine Frau in einfacher, aber hochwertiger Reisekleidung, wie sie der Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns anstand. Sie trug ein Kopftuch und hielt den Blick züchtig gesenkt, trotzdem erkannte Karl, dass sie noch sehr jung war, viel jünger, als er angenommen hatte.
Karl wandte sich an seinen Vertrauten. »Wir danken Euch, mein lieber Montfort.«
Der Bischof verstand, neigte den Kopf und verließ den Raum.
Karl betrachtete die junge Frau. Sie war eine Schönheit, aber nicht von der Art, die einem den Atem raubte, sondern vielmehr so, dass es einen danach verlangte, ihr die Welt zu Füßen zu legen. Das schmale Gesicht mit den hohen Wangenknochen war blass, sodass die dunklen Augen noch ausdrucksvoller wirkten. Die hohe Stirn verriet einen wachen Verstand.
»Seid gegrüßt«, sagte er.
Sie deutete einen Knicks an, ohne den Blick zu heben. »Eure Majestät.«
»Mein treuer Diener Engelbert von der Hardenburg hat uns geschrieben, dass Ihr ein Präsent für uns bei Euch führt. Bedauerlicherweise hat er uns nicht mitgeteilt, wie Euer Name lautet.«
Die Frau schwieg. Hatte sie ihn nicht verstanden? Er hatte Deutsch gesprochen, der Hauptmann der Wache hatte gesagt, sie verstünde kein Tschechisch.
»Antwortet!«, befahl er.
Mit einer geschmeidigen Bewegung hob sie den Kopf und sah ihn an. In ihrem Blick lag etwas, das ihn unwillkürlich schaudern ließ. Blitzartig schoss ihm durch den Kopf, dass er völlig allein mit der Fremden war, darauf vertrauend, dass Engelbert von der Hardenburg ihm treu ergeben war und dass ein schwaches Weib ihm keinen Schaden zuzufügen vermochte. Einen Wimpernschlag lang malte er sich aus, wie die Fremde einen Dolch aus den Falten ihres Gewandes zog und ihm die Klinge in den Leib rammte, dann war der Spuk vorbei.
Ihr Gesichtsausdruck klärte sich. »Ich bin die Nichte des ehrenwerten Tuchhändlers Tassilo Severin, der hier in Prag sein Geschäft führt«, sagte sie mit fester Stimme. »Mein Name ist Amalie Severin.«
Karl musterte die Frau. Den Namen Tassilo Severin kannte er. Ein ehrbarer Bürger von untadligem Ruf. Nur von einer Nichte hatte er noch nie gehört. »Aber Ihr sprecht kein
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